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Ohne Schraube im Schritt

Wie aus dem Kommerzkäfig befreit: „Sporty Spice“ Mel C. erfreute in der Columbiahalle nicht nur Minderjährige. Gute Schauspielerinnen beherrschen eben mehrere Rollen

Um kurz vor acht bringen immer noch Eltern ihre Kleinen mit dem Auto vorbei. Für die Lütten ist Melanie C. einfach Teil der Spice Girls, und da die sich im Moment in alle Himmelsrichtungen „auf Solopfaden“ tummeln, gehen die Kids eben mit Mutti zu Mel C. oder B.

Doch Teenies sind, wider Erwarten, in der Minderheit beim Konzert von Melanie Jayne Chisholm, wie die 26-Jährige aus Liverpool eigentlich heißt. Der Trend geht immer mehr zum Cross-Over-Publikum: Kunstlederhosenspießer mischen sich mit coolen Expunks. Einer trug gar ein Moe Tucker T-Shirt, und zwei Bodybuilder hoppelten hyperaktiv vor mir herum, wenn Mel C. auch nur die kleinste Geste mit den Fingern machte.

Doch wer hier meinte, „Sporty Spice“ solo zu erleben, der irrte. Gute Schauspielerinnen beherrschen mehrere Rollen, und diese Sängerin erinnert eigentlich nur durch ihre unverwechselbaren Armtatoos an ihr Double. Wie aus dem Kommerzkäfig entlassen, hat sie die Plastikklamotten weggeschmissen, wenig Make-up aufgelegt und die Haare nett zerzauselt. Zur Blue Jeans trägt sie ein einigermaßen züchtiges schwarzes Top. Sollte auch das hier Kalkül sein, dann heißt ihre Rolle: Natural Beauty – seht her, Leute, ich schwitze und lache wie ein echter Mensch!

Diese Rolle passt ihr so gut, dass wir sie ihr gern abnehmen. Plötzlich erinnert sie mich gar an Debbie Harry, dann hat sie wieder was von Suzie Quattro. „Fuck“, ruft sie, als ihr bei „Closer“ ein Fan ein Armband an die Schulter schleudert. Aber als sie das Präsent neben den Teddys auf der Bühne findet, entschuldigt sie sich höflich, und dann wirft sie auch schon wieder die Arme in die Höhe und zeigt uns ihre rasierten Achselhöhlen.

Musikalisch changiert die Band zwischen Schmusepop, angenehm unstrukturiertem Rock und Mitsingnummern – alles ist irgendwie sehr okay. Man spürt in sich den Impuls, das Doofe zu entdecken, meint, in den erwachsenen Mitsinggesichtern den schlimmen Wunsch nach Regression zu entdecken, und notiert sich die Songzeile „There’s so much energy – at last we can be free“. Das ist natürlich lustig.

Aber auch wahr. Denn die kleine, agile Melanie hat wahrscheinlich genug Energie und vor allem auch Knete angesammelt, um mit ihrer eigenen Band einfach die Sau rauszulassen oder Spaß zu haben. Was Robbie Williams kann, kann Melanie C. schon längst – ohne sich dauernd den Mikroständer in den Schritt zu schrauben. Früher machte man Indiepop und wurde dann zum Mainstreamer mit Macht und Einfluss.

Heute dreht sich die Spirale von oben nach unten: Werd’ erst mal berühmt, Kind, dann kannst du was Vernünftiges machen. Schwimmerinnen machen das auch nicht anders.

„Things will never be the same“ singen wir alle hoffnungsbereit das letzte Lied mit. Mel lässt uns nicht im Stich: Wenn ihr ordentlich klatscht, kommen wir auch wieder! So ist sie: echt ehrlich irgendwie und ohne große Umschweife. Dann noch die Technoballade „I turn to you“ und – schwups – sind anderthalb schöne Stunden um. Draußen warten die Familien schon auf ihre Zusammenführung.

ANDREAS BECKER

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