: Der morbide Sexappeal der Bourgeoisie
■ Der Horror ist das eigene Haus – zu zweit oder zu dritt: Nikos Nikolaidis jüngster Film Ich treffe dich in der Hölle, meine Liebe auf den Griechischen Kinotagen
Er bleibt merkwürdig eigenschaftslos, der Mann in dieser Dreiecksgeschichte. Und das liegt nicht daran, dass er eigentlich tot ist. Sein Tod hält ihn nämlich nicht davon ab, immer wieder das Haus zu umschleichen, sogar Sex mit Vera zu haben. Meistens aber fragt er tumb nach Zigaretten, vielen Zigaretten. Der Schauplatz von Nikos Nikolaidis' Ich treffe dich in der Hölle, meine Liebe ist eine Villa der Athener Vorstadt – mit großem Swimmingpool und einem riesengroßen dschungelartigen Garten. Und tot sind eigentlich alle Beteiligten, auch Elsa, die sich schon im Vorspann eine Kugel in den Kopf jagt. Tot ist auch Vera, die dritte des Beziehungsdramas, von Elsa neckend Erdbeere genannt, weil sie als Schülerin immer Kondome mit Erdbeergeschmack verwendet hat.
Bekannt wurde Nikolaidis Ende der 80er Jahre, als er seinen ersten Roman veröffentlichte: Mit Der wilde Balkaner handelte er sich den Ruf des griechischen Jack Kerouac ein. Der Bestseller erzählt die Geschichte eines 18-Jährigen, der von zu Hause ausbüxt und mit dem Motorrad quer durch Griechenland fährt. Es ist die Geschichte einer Aneigung des Landes durch Sex. Diese Höhe des Erfolgs hat Nikolaidis nie wieder erlangt, weder mit weiteren Büchern noch mit seinen Filmen, die sich alle um existentielle Selbstüberschreitung durch Sex, Drogen und Verbrechen drehen.
Nikolaidis entwirft sein Tableau der Grausamkeiten in einer Ehe, die durch die beste und heißgeliebte Freundin der Frau zerrissen wird, indem er die Techniken des Horrorgenres, des magischen Realismus und eine kühle Werbeästhetik vereint. Zu letzterer gehören auch die oft nur Bruchteile von Sekunden langen Flashbacks, in denen einzig die große gemeinsame Tat der drei, ein Überfall auf einen Geldtransporter, angedeutet wird. Sehr greifbar ist allerdings der riesige Geldkoffer, von dem man nie genau weiß, ob nicht er der Grund für die Ermordung des Mannes und der Freundin durch Elsa ist. Das Geld braucht eigentlich niemand, es füllt bloß die Stelle eines puren Begehrens: nach einem Mehr an Thrill, an Wahn im Upperclass-leben – wie der Mann die schweigsame und hohle Position der Macht repräsentiert, die sich die Frauen umstandslos aneignen, wenn sie miteinander aggressiven Sex zelebrieren.
Immer wieder scheint es, als solle hier die ganz und gar nicht diskrete Dekadenz der Bourgeoise ausgestellt, ja denunziert werden. Mit Sicherheit hat Nikolaidis für seine Figuren, die er fast ausnahmslos theatralisch agieren lässt, keine große Sympathie. Wenn er die beiden Frauen aber permanent in Strapse, sexy Bustiers und BHs kleidet oder gänzlich nackt herumlaufen lässt, wenn er die Fesselung der einen durch die andere zu einer Bondage-Szene zeichnet, wie sie klischeehafter kaum sein könnte, dann hat er am Ende doch einen Softporno fabriziert – mit Anspruch, versteht sich.
Christiane Müller-Lobeck
Sonnabend, 21.15 Uhr, Metropolis; weitere Filme der griechischen Kinotage: Angelos, Weibergesellschaft, Das Frühlingstreffen der Feldhüter, Aenigma est (Georgio de Chirico, Volos 1888 Rom 1978), Nachtblumen (Zeiten siehe Programm)
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