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vorlaufAuf der Erbse

Menschen hautnah: „Prinzessinen“ (22.30 Uhr, WDR)

Sie leben alle in schönen Altbauwohnungen: Die Schlafzimmerspiegel haben Goldrahmen. Künstliche Engelchen stehen auf dem Fernseher. Und die Sofas sind mit Samt bezogen. Kleine Schlösschen sind das. So hat man sich das Heim von Märchenwesen auch vorgestellt. Selbst wenn es in Berlin steht.

Die Dokumentation „Prinzessinnen“ porträtiert vier Berliner Frauen, die in großstadtbösen Zeiten ihr eigenes Lebenskonzept als moderne romantische Schneewittchenfiguren verfolgen. Hübsche Nischenexistenzen sind es, die der Film von Anja Brendle und Georg Piller da vorführt: Die 50-jährige Partylöwin Britt Kanja saust auf weißen Rollschuhen durch Kaufhäuser und Nachtleben. Die 33-jährige Kostümdesignerin Stefanie ernährt sich nur von Kuchen, Törtchen und Schokolade. Ansonsten näht sie Ballettröckchen. Die 48-jährige polnische Dolmetscherin Julia pendelt zwischen Armani-Boutique und Pfandleihhaus hin und her. Und die 32-jährige Anja trinkt morgens lange Kaffee oder tanzt durch die Wohnung, bevor sie ihr Geld vom Sozialamt abholt.

Tatsächlich fühlen sich alle vier Frauen als Prinzessinnen. Der Satz „Ich war schon immer etwas Besonderes“ fällt häufig in den Interviews. Eine Jugend mit Pickeln, Familienkrach und Pubertätshässlichkeit blieb allen dadurch zwar nicht erspart. Das bereitete einen indes schon mal auf die kalte Realität da draußen vor: „Das Leben ist so streng, wie meine Großmutter es war“, resümiert die Polin ihren täglichen Kampf um ein luxuriöses Dasein. Die Selbstinszenierung beherrschen alle vier Frauen jetzt dafür umso besser: Sie posieren im Kimono oder vor Rosenbeeten. Schönheit sei als Prinzessin eben eine „Miniaturverpflichtung“, sagt Anja nüchtern. Auch zu anderen traditionell der Weiblichkeit zugeschriebenen Tugenden wie Harmonie und Sinnlichkeit bekennen sich die Heldinnen des Films für heutige Zeiten ungewohnt offenherzig.

Doch bei allem Glamour, den die vier Frauen angestrengt verbreiten, wirkt der Alltag als Prinzessin traurig. Man trägt wehende Gewänder, liegt auf Kanapees herum und ist trotzdem einsam. Anja findet, sie habe ihre Lebensplanung verträumt. Wenigstens versüßt sich die polnische Dolmetscherin ihre Tage mit einem schönen Satz: „Arbeitszeit ist verlorene Zeit.“

KIRSTEN KÜPPERS

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