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Der etwas andere Aufstand

Einen Monat nach dem Aufstand der Anständigen mobilisiert das Bündnis der Afrikanischen Organisationen nach Berlin. Zum Tag der Menschenrechte will es gegen gesellschaftlichen Rassismus und rassistische Politik demonstrieren. Ein Gespräch mit Yonas Endrias, einem der Organisatoren

Interview von BARBARA JUNGE und EBERHARD SEIDEL

taz: Was haben Sie am 9. November gemacht, als in Berlin mehr als 200.000 Menschen für Toleranz demonstrierten ?

Yonas Endrias: Unser Verein hat das gemacht, was er seit vielen Jahren macht. Wir haben in Berlin-Moabit demonstriert, wo in der Nazizeit die Juden abtransportiert wurden. Ich war dort, wo es keine Show gab.

Was hat Sie an der Show zum 9. November gestört?

Die eigentlichen Probleme wurden nicht angesprochen und das Thema wurde auf zwei Punkte reduziert: auf das Verbot der NPD und auf die Glatzen.

Und was ist Ihres Erachtens das eigentliche Problem?

Der gesellschaftlich tief verwurzelte Rassismus. Die demonstrierenden Politiker waren keineswegs ein Teil der Lösung, sondern sind ein Teil des Problems. Man kann nicht mit jemandem demonstrieren, der uns als durchrasst bezeichnet oder von Leitkultur spricht. Die demonstrierenden Politiker hatten ein anderes Ziel als wir – denen ging es um ihr Image.

Isolieren Sie sich nicht weitgehend, wenn Sie so rigoros die Motive der Demonstration ablehnen?

Aber was sollten wir dabei verlieren? Diese Show war eine billige PR-Kampagne auf Kosten der Opfer des Rassismus. Das war schon 1992 so. Und damals waren sogar mehr Menschen auf der Straße. Und was hat das gebracht? Die Politiker haben sich eher in entgegengesetzte Richtung bewegt, als sie uns in ihren Sonntagsreden kundtaten.

Die politische Diskussion also gleich lassen?

Nein, aber Politiker haben ganz andere Mittel als eine Demonstration, und die werden nicht eingesetzt. Warum gibt es kein Antidiskriminierungsgesetz? Warum keinen Straftatbestand Hate-Crimes? Warum keine Anordnungen an die Polizei, die Opfer rassistischen Gewalt endlich ernst zu nehmen? Und wie viel Verständnis wird dagegen rechten Gewalttätern entgegengebracht! Gewalttaten gegen vermeintliche Nicht-Arier werden verharmlost. Ein vehementer Kampf dagegen ist nicht zu sehen.

Sehen Sie eine politische Kraft, auf die Sie beim Ringen etwa um ein Antidiskriminierungsgesetz setzen können? Die Grünen haben diese Forderung ja auch einmal aufgestellt – bislang ohne Erfolg.

Ich sehe leider auch keine signifikante Kraft. Das Parteienspektrum bewegt sich nach rechts, die Parteien sind rassistischer geworden. Ich kann nur auf eine breite gesellschaftliche Bewegung hoffen, die das Thema von der Parteipolitik befreit.

Dann aber genauer. Wo etwa ist die SPD rassistischer geworden als vor neun Jahren? Die CDU oder auch die Grünen?

Die Flüchtlingspolitik war besser. Vor neun Jahren hat kein Otto Schily gesagt, das Boot ist voll. Die CDU führt eine Kampagne angeblich gegen doppelte Staatsbürgerschaft – im Kern aber hieß die Frage: Bist du für oder gegen Ausländer? Bei den Grünen sehen wir auch eine entsprechende Entwicklung.

Aber wo ist dann Schluss, wenn Sie sagen, die gesellschaftliche Entwicklung strebe nach rechts?

Die Gesellschaft hat sich nicht generell nach rechts entwickelt, zumindest nicht die Mehrheit der Jugendlichen. Saumagen und Bratwurst haben Pizza und Döner-Kebap nicht verdrängt. Heino rappt und das Fernsehen ist bunt. Die Multikulturalität ist inzwischen Realität geworden und die Menschen haben das zwangsweise längst akzeptiert. Das Problem ist nur, dass die Politiker das nicht akzeptieren möchten und für ihre Zwecke missbrauchen.

Was halten Sie als deutscher Staatsbürger von einer aktuellen Werbekampagne mit Plakaten „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“, auf denen dunkelhäutige Menschen posieren?

Ich finde das lächerlich. Nichts sagend. Rein ästhetisch ansprechend. Klingt wie „Ich bin ein Sachse“. Kampagnen ohne Inhalt. Unternehmen und Politiker versuchen mit billigsten Mitteln und geringem Aufwand auf unsere Kosten ihr Image zu verbessern. Was wir brauchen, ist mehr Repräsentation auf allen Ebenen: in Berufen, der Politik, den Medien. Im Kern geht es um Gleichberechtigung, die erreicht man mit solchen inhaltsleeren Kampagnen nicht.

Was wäre Ihrer Auffassung nach notwendig, um dem Rassismus stärker zu begegnen?

Fangen wir mit dem Schlimmsten, mit den rassistisch motivierten Morden und Gewalttaten, an. Ich habe nicht das Gefühl, dass Richter, Polizei und Staatsanwälte das richtig ernst nehmen. Und die Politiker müssen endlich aufhören, Geister zu rufen, die vielen Menschen Leid zufügen und die sie vielleicht später nicht mehr loswerden.

Hat sich da im Vergleich zu den frühen 90er-Jahren nicht einiges geändert?

Ich glaube, wenn Jugendliche wie in Guben einen Menschen zu Tode hetzen und dann nur Bewährungsstrafen bekommen, setzt das falsche Signale. Die Kriminellen rechnen schon bei ihren rassistisch motivierten Gewalttaten, dass sie in der Regel mit Bewährung davonkommen. Sie haben gute Anwälte und sind gut organisiert. Wenn mir etwas passiert, muss ich alles selbst bezahlen, eventuell nicht nur die Anwaltskosten, sondern alle Folgekosten.

Wie viele anständige Deutsche und andere Demonstrationsteilnehmer erwarten Sie am 9. Dezember?

Das kann ich nicht einschätzen. In der Regel kommen ohne große Medienkampagne auch nicht so viele Leute. Außerdem erwarten wir keine große Unterstützung von den Parteien, der Regierung und der Wirtschaft, die den Aufstand der Anständigen professionell organisiert haben.

Sie gehen nicht davon aus, dass die Debatte des Sommers die Menschen sensibilisiert hat und deshalb auch mehr zur Demonstration kommen?

Nein, das war ein gut organisiertes Medienspektakel. Ob das viele Leute animiert, sich mit uns zu solidarisieren, werden wir am 9. Dezember feststellen.

Wir sind also heute auf dem Stand von Anfang der 90er-Jahre?

Die Situation ist sogar schlechter.

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