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Mit chinesischen Hippies durch Tibet

Zwei Brüder suchen das Paradies und drehen dabei ein sympathisches interkulturelles Roadmovie vom Dach der Welt. Sie schmuggeln den Film aus China heraus, bevor eine offizielle Stelle ihn sehen konnte: „In Search of Shangri La“

Respektloser Umgang mit Mao-Büsten, kopulierende bemalte Schweine und ein Happening auf der Großen Mauer – der chinesische Kunststudent Wen Pu Lin ist in den 80er-Jahren mittendrin in Pekings frecher Kunstszene. Wen bezeichnet sich als Anarchist und Hippie. Seine Sturm-und-Drang-Zeit endet im Juni 1989 brutal mit der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Er und sein Bruder Wen Pu Qing wollen nur noch möglichst weit weg. Eher zufällig wird Tibet ihr innerchinesisches Exil, das sich als ganz anders herausstellt, als sie es sich in ihrer von maoistischer Propaganda geprägten Vorstellung ausgemalt hatten.

Die beiden Wens bekommen eine Kamera geschenkt, mit der sie ihre Tibet-Reise festhalten. Sie dauert zehn Jahre. Ihr Film „In Search of Shangri La“, was sich etwa mit „Auf der Suche nach dem Paradies“ übersetzen lässt, ist ihre persönliche Annäherung an dieses geheimnisvolle Land. Tibet ist zwar nach offizieller Lesart ein Teil Chinas, aber eben doch ganz anders, wie die beiden fasziniert feststellen. Aufgeschlossen nähern sie sich Land und Leuten – manchmal fast schon naiv, aber immer mit gewinnendem Humor. Damit stehen die beiden Wens im Kontrast zur Arroganz, die viele Han-Chinesen den Tibetern und anderen Minderheiten gegenüber an den Tag legen. Denn Tibet wird in der Volksrepublik meist nur auf Folklore reduziert, die man zwar Touristen gut verkaufen kann, aber ansonsten als rückständig belächelt und nicht ernst nimmt.

Die Wens zeigen ein materiell armes, aber spirituell sehr reiches Land mit einer lebendigen Kultur, die sie anders als viele Tibet-Fans im Westen nicht verklären. Sie lassen Tibeter selbst zu Wort kommen, mit denen sie immer wieder lachen, ohne sie lächerlich zu machen. Die Wens behandeln die Hauptpersonen ihres Films, die längst ihre Freunde geworden sind, respektvoll und verleugnen auch die Probleme nicht.

Der sehr menschliche Film ist eine Art interkulturelles Roadmovie aus einer Region, die kaum Straßen kennt. Verwackelte Bilder wechseln mit professionellen Aufnahmen, das Erzähltempo ist gemächlich, aber nie langweilig, gelegentlich scheint der Hang zum Anarchischen durch. Wen Pu Lin sagt, er habe in Tibet erstmals innere Ruhe gefunden und ohne inneren Drang nach Aktivität einfach nur in den blauen Himmel schauen können. Er ist von Tibet fasziniert, doch kommt er auch an seine Grenzen, als er zum Beispiel eine Beerdigung erlebt. Schonungslos zeigt der Film, wie der Leichnam in Streifen zerschnitten und von Aasgeiern gefressen wird. Die Knochen werden mit Steinen zertrümmert. Hier wird Reinkarnation – ganz unesoterisch – als grausame Leichenfledderei dokumentiert.

Die beiden Wens treffen Nonnen und Mönche, eine Theatergruppe und einen lokalen Lama, der sich von seinem bewaffneten Bruder schützen lässt und den Spagat zwischen tibetischer Tradition und chinesisch-dominierter Moderne versucht. Als der Lama nach zweijähriger Ausbildung von Peking nach Tibet zurückkehrt, wachsen die Spannungen, die durch den Bau eines Tempels reduziert werden sollen.

Der Film klagt weder explizit Pekings Kommunisten an, noch urteilt er über den Dalai Lama, er übernimmt aber auch nicht offizielle Sichtweisen, sondern zeigt die eigenen Begegnungen mit den Menschen. Was auf den ersten Blick unpolitisch daherkommt, ist im chinesischen Kontext verdammt politisch, weil der Film die Tibeter ernst nimmt, sie nicht bevormundet, sondern ihr Denken dokumentiert. Der Film wurde von keiner Behörde abgesegnet, sondern privat außer Landes gebracht und in Deutschland erstmals beim Ethnologischen Film-Festival im Juni in Berlin gezeigt.

SVEN HANSEN

„In Search of Shangri La“, Regie: Wen Pu Lin, Volksrepublik China, 75 Minuten auf Englisch, Filmbühne am Steinplatz. Der Film läuft zu wechselnden Zeiten, siehe Programm

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