piwik no script img

Dante? Deppengeschwätz!

Silvio Berlusconi reibt sich die Hände, Jon de Mol freut sich, und halb Italien schaut zu: „Grande Fratello“, Italiens „Big Brother“, erreichte Quoten wie sonst nur die Fußball-Nationalmannschaft

aus Rom MICHAEL BRAUN

„Also Cristina, die geht mir schwer auf die Nerven mit ihrer ewigen Jammerei.“ – „Trotzdem find ich’s nicht richtig, wie Pietro mit ihr umspringt. Erst rummachen, und dann ...“ Offensichtlich geht es am Tresen der Bar um gute Freunde des tratschenden Clübchens. Doch beim zweiten Cappuccino in der nächsten Bar wird der Zuhörer stutzig. Ein andres Clübchen – die gleichen Freunde. „Also Cristina ...“ – „Trotzdem ... Pietro?“ Und dazu Salvo, Marina, Rocco und Roberta, alle mit enormem Bekanntenkreis: kein Büro, keine Bushaltestelle, kein Schulhof, wo nicht voller Leidenschaft jeder Charakterzug der merkwürdigen Typen seziert wird.

Mühsam nur erholt Italien sich vom „Big Brother“-Fieber. „Grande Fratello“ hieß hier die Show, die am Donnerstag vor Weihnachten mit der Kür der Siegerin zu Ende ging und am gestrigen Abend mit einer Gala aller zehn KandidatInnen gleich noch mal Millionen Zuschauer vor die Glotze lockte. Als endlich feststand, dass Cristina, die blondierte Bademeisterin mit dem debilen Grinsen, das Rennen in der Zuschauergunst gemacht hatte und für 100 Tage Containerknast die Haftentschädigung von 250.000 Mark nach Hause nehmen darf, da fehlten der energisch-jungen Moderatorin glatt die Worte. „Historisch“ stammelte sie immer wieder in die Kamera – und meinte ihre eigene Sendung.

Historisch zu nennen ist ganz gewiss der Erfolg des Berlusconi-Senders Canale 5, der mit dem Surreality-TV zum Schluss 16 Millionen Zuschauer mobilisieren konnte – das gelingt sonst nur den „Azzurri“ von der Fußball-Nationalelf. Satte Werbeeinnahmen von 450 bis 500 Millionen Mark waren der Ertrag.

Ziemlich einfach verdientes Geld: Wie auch in anderen Ländern lümmelten da zehn meistens ziemlich stille Stars ziemlich gelangweilt auf den Sofas rum; als Highlights gab’s ab und zu kurz aufbrandende Wortgeplänkel und wechselseitige Psychoanalysen nach Hausmacherart. Und als hätten die italienischen Macher sich die erste Staffel in die Deutschland zu Herzen genommen, ließen sie gleich mehrere Slatkos in den Container. Dante? Nie gehört. Venedig? Liegt vielleicht in der Lombardei.

Dass statt einer wenigstens rudimentären Allgemeinbildung andere Tugenden zählen – eben dafür stand der „Grande Fratello“ seinen Fans. Große Klappe, durchtrainierter Body, Gel ins Haar, dann rein in den Sessel vor der Kamera – und berühmt werden. Als Geistesriese im Container galt Rocco, der Ingenieur; der hatte wenigstens was Ordentliches gelernt. Und auch Pietro mit dem markanten Kinn, dem kalten Blick und den tätowierten Muskelbergen ging als Intelligenzbestie durch. Schließlich war er mal Hausverwalter und hat schon bei den Kommunalwahlen kandidiert. Sehr weit reichte seine Intelligenz dann doch nicht: Fröhlich strunzte der Jurastudent aus dem süditalienischen Caserta vor laufenden Kameras damit, dass er sich seinerzeit in ortsüblicher Manier ein paar Wahlstimmen gegen Bares gekauft hatte, und machte so die Staatsanwälte hellhörig. „Authentisch“, ganz „er selbst“ war Pietro eben, sogar bei seinen gerichtsverwertbaren Geständnissen. Überhaupt waren alle „sie selbst“ – schließlich galt das als größte Tugend im Container. Manchmal allerdings drängte sich leise der Verdacht auf, die Leute hätten Geld und plötzliche Prominenz dann doch ehrlich verdient, als ausgebuffte Authentizitätsmimen.

Da jammerte Marina mit Tremolo und traurig-treuem Blick wochenlang den Mitbewohnern vor, sie sei „die Kleinste hier“, sie könne sich „nicht einbringen“ vor lauter Schüchternheit. Kaum aber war sie draußen, da fand sie ihre feste Stimme wieder und erklärte im Canale-5-Studio souverän, auch in ihrem gerade für Max abgelichteten Nacktkalender sei sie „ganz sie selbst“.

Zwar ist jetzt erst mal das Licht aus im Container, doch die „Selbst“-Darsteller machen unverdrossen weiter. Neben den obligaten Talkshow-Serienauftritten steht eine Tingeltour der zehnköpfigen Truppe durch Italiens Clubs und Diskotheken an. Da gibt’s dann Trost für die „Big Brother“-Waisen, die jetzt schon auf der Homepage der Sendung klagen, sie fühlten sich ganz „leer“ und „ausgebrannt“ ohne ihre virtuellen Kumpel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen