: Die Innereien der Numero uno
Joseph Ratzingers Kardinalvergehen „Gott und die Welt“ ist Prahlerei vor dem Herrn
Wer ist Joseph Kardinal Ratzinger? Ein Karrierekatholik? Ein Glaubensstreber, ein Linienpolizist, ein Spitz-pass-auf Gottes? Ein Chefscherge seines Arbeitgebers, der Gott und Söhne GmbH? Der Klappentexter seines jüngsten Buchs „Gott und die Welt – Glauben und Leben in unserer Zeit“ (DVA 2000) nennt Joseph Kardinal Ratzinger einen „Führer des Weltkatholizismus“. Aber auch, und hier schwenkt’s von Heil! nach heilig, „einen der größten christlichen Gelehrten seit Thomas von Aquin“. Donnerschlag: Ratzinger die Numero uno der Klerikercharts? Der definitive Supergläubi? Der nächste Papst womöglich? Klappentexte werden häufig von Autoren selbst geschrieben, zumindest aber ihnen zur Freigabe vorgelegt. Hat der Berufschrist Ratzinger sich also der Hoffart schuldig gemacht, des klassischen Dicke-Eier-Zeigens?
Prahlerei ist der Kern der Ratzinger-Botschaft. „Aus der Kirche auszutreten, wäre mir tatsächlich nie in den Sinn gekommen, dazu ist sie wirklich viel zu sehr meine innerste Heimat. Ich bin von Geburt an so mit ihr verschmolzen, daß ich mich ohne sie gewissermaßen zerschneiden, ja zerstören würde.“ Der hydraulische Jargon – „tatsächlich, wirklich, innerste Heimat“ – ist schon eine Sünde wider den Stil; „von Geburt an mit der Kirche verschmolzen“ aber macht Ratzinger keiner nach. Gegen diesen Trick sehen die Sperenzchen des Wasserläufers Jesus Christus und seiner zaub’rischen Nachfolger David Copperfield und Hans Klok ziemlich matt aus.
Ratzinger gibt nicht nur an wie ein Sack voll Mücken, sondern warnt ebenso kräftig vor den Gefahren der Aufschneiderei. Der alterseitle Spitzenfunktionär, der es nicht ausstehen kann, dass er noch den einen oder anderen Kardinal neben sich haben muss, spricht über das erste Gebot. „Der Mensch begibt sich in die Verkehrung seines Daseins, wenn er das, was nicht Gott ist, anbetet.“ Wer Ratzinger die Gefolgschaft verweigert, kann einem leid tun. Der „Perversion“ sogar gebe sich der Mensch anheim, „wenn er sich selber seine Gottheiten macht und damit letztlich sich selber anbetet“. Wie Ratzinger, der schon im Vorwort von „Gott und die Welt“ den Erfolg seines vorletzten Buchs „Salz der Erde“ feiert – „ für viele eine dankbar angenommene Orientierungshilfe“, „großes und erstaunlich positives Echo“ –, über sein Wichtig-Verpflichtig-Leben stöhnt – „meine berufliche Überlastung“, „die spärliche Freizeit, die mir zur Verfügung steht“ – und über das Große singt, das aus ihm herausdrängt: „endlich ein Buch über den Geist der Liturgie“. Unverdrossen aber prangert der Mann die „Geltungssucht“ an. Nur seine eigne nicht. Die ist so superschwanger, die passt an keinen Pranger.
Wozu das Zeug lesen, wozu sich mit Religion beschäftigen? Der Matsch, auf dem wir laufen, heißt christliches Abendland. Wer das ignoriert und dennoch wissen möchte, warum so viel Brühe ist und so wenig Licht, wird nicht weit kommen. Bertolt Brecht, nach seinem Lieblingsbuch gefragt, antwortete: „Sie werden lachen – die Bibel.“ Das mit dem Lachen war kokett, denn Brecht hat viel von der Bibel – die ein Erziehungsbuch ist, und Brecht war ein großer Erziehungsschriftsteller: „Der Mensch ist gar nicht gut / Drum hau ihn auf den Hut / Hast du ihn auf den Hut gehaut / Dann wird er vielleicht gut.“ Das verzweifelte Sichklammern an autoritäre Besserungsvorstellungen, das christlichen wie sozialistischen Volkserziehern gemein ist, hat allerdings vor allem diejenigen Menschen angespornt, die gern andere auf den Hut oder weit empfindlichere Stellen schlagen. Ermunterung dazu bekommen sie von Ratzinger, der das sechste Gebot – „Du sollst nicht ehebrechen“ – im Schnellverfahren als Heterosexualitätsgebot festnagelt: „Andere Formen der Sexualität erreichen nicht die eigentliche Höhe der menschlichen Berufung. Sie entsprechen nicht dem, was vermenschlichte Sexualität sein will und soll.“ Ist es Wittgenstein für Seelsorger: Wovon man nichts versteht, davon soll man auf keinen Fall schweigen? Oder gilt hier die Regel: Die rechte Hand des Papstes muss alles wissen, denn grau ist alle Theorie?
Den Boden bereitet für Ratzingers „Ich, Gott und die Welt“-Buch hat der Journalist Peter Seewald, der treu, bang und dienernd die Stichworte liefert. Ihm scheint es „unwiderlegbar, daß die Welt kein Zufall, nicht das Resultat einer Explosion oder von etwas Ähnlichem war“. So schwach er denkt, so interviewt er. „Sie nannten das Geschehnis von Bethlehem einmal den ‚entscheidenden Durchbruch der Weltgeschichte auf die Vereinigung von Geschöpf und Gott hin‘“, sekundiert Seewald seinem Kardinal, und obwohl das keine Frage ist, antwortet Ratzinger: „Es ist das ungeheure Ereignis, daß Gott wirklich Mensch wird. Daß er sich nicht als Mensch verkleidet, nicht eine Zeitlang nur eine Rolle spielt in der Geschichte, sondern es wirklich ist – und sich letztlich mit ausgebreiteten Armen am Kreuz zu dem offenen Raum macht, in den wir hineintreten können.“
In Gott hineintreten? Das möchte ich nicht – schon aus Höflichkeit. Auch das als Dauerbrenner angebotene „Geschenk Christi“ wird zurückgeschickt: Ich will’s nicht haben. Meine Sünden sind meine – dafür muss kein anderer gestorben sein, das mache ich dann selber, das geht auf den eigenen Deckel. Es ist eine Frage der Würde, nicht mehr und nicht weniger. Ratzinger weiß das. Sein Verein ist angetreten, den Menschen genau das abzujagen – auch wenn die Lattenyuppies tausendmal das Gegenteil behaupten. Dass Ratzingers Menschenfischerei und seine frühere Hauptkonkurrenz, die Hoffnungsnebelkerze Marxismus, mittlerweile weniger Menschen auf die Beine bringen als das Gebräu aus Esoterik und RTL2, ist unerheblich. Die alten Quälgeister werden nicht besser, bloß weil es neue gibt.
WIGLAF DROSTE
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