: Dicht am Wahnsinn
Berichte von Schlachtfeldern der Seele: Edita Gruberova meisterhaft in Donizettis „Roberto Devereux“ ■ Von Dagmar Penzlin
Lange nicht mehr gestaunt? Wer mal wieder mit offenem Mund dasitzen möchte, hat zurzeit beste Gelegenheit dazu in der Staatsoper. Edita Gruberova, eine Großmeisterin des verzierten Gesangs, macht hier als Königin Elisabeth I. Station. Ihr Rollenporträt erinnert einen daran, was Singen bedeuten kann: Berichterstatten vom Schlachtfeld der Seele. Die Premiere der konzertanten Aufführungsserie von Gaetano Donizettis Roberto Devereux endete mit stehenden Ovationen.
Auf die Gruberova ist eben auch Verlass. Ihre höchst brillante Technik steht ganz im Dienst der Sache. Keine Koloratur, kein Messa di voce und kein Pianissimo-Triller in höchsten Höhen verkommt zum Selbstzweck. Jede Verzierung spiegelt die Gefühle der Figur wider, jede dynamische Nuance leuchtet die Dimensionen des Textes geradezu seismographisch aus. So etwas ist heute leider viel zu selten auf Opernbühnen zu hören. Um so mehr wächst die Bewunderung für eine Sängerin wie Edita Gruberova, die seit Jahrzehnten an der Spitze ihres Faches residiert. Die Elisabeth ist eine ihrer Paraderollen. Gerade war die gebürtige Slowakin das Zentrum einer Neuinszenierung von Donizettis Werk an der Wiener Staatsoper. Und auch in der konzertanten Aufführung in Hamburg beherrscht sie die Bühne, weiß sie mit wohldosierter Mimik wie Gestik ihr Porträt der unglücklichen Herrscherin abzurunden.
Donizetti erzählt in seiner 57. Oper von der unerfüllten Liebe Elisabeths I. zu Roberto Devereux, dem Grafen von Essex. Die Geschichte hat sich um 1600 wirklich ereignet. Doch historische Korrektheit interessierte den Komponisten und seinen Librettisten Salvatore Cammarano 1837 weniger. Ihnen ging es um die Psychologie dieser unmöglichen Liebe zwischen alternder Königin und ihrem Untergebenen. Verschärfend kommt hinzu, dass der Graf sich in Sara, die Herzogin von Nottingham, verliebt hat und diese außerdem mit seinem besten Freund verheiratet ist. Das Gefühlskuddelmuddel ist perfekt und endet für alle Beteiligten in der Katastrophe: Devereux landet auf dem Schafott, die Nottinghams im Kerker, und die Königin schlittert knapp am Wahnsinn vorbei.
Die Schlussszene Elisabeths gehört zu den Höhepunkten in Donizettis gesamten Schaffen. Hier hat die Gruberova noch einmal die Möglichkeit, den zwiespältigen Charakter jener Frau hörbar zu machen. Eine ganze Palette von subtilen Zwischentönen hat sie dafür parat. So hofft und keift diese Elisabeth, greint und raunt, befiehlt und verzweifelt sie auf äußerst virtuose Weise: Gruberova at her best.
Die anderen Solisten in Hauptpartien sind mehr als nur Assistenten bei dieser Audienz der Belcanto-Queen. In der Titelrolle überzeugt José Bros. Der spanische Tenor beherrscht ebenfalls überdurchschnittlich gut sein Handwerk, allein das zuweilen etwas sehr nasale Timbre seiner Stimme ist wohl Geschmackssache. Eine in allen Lagen außergewöhnlich schöne Klangfarbe besitzt hingegen der Mezzosopran von Petia Petrova. Als Sara gelingt es der jungen Bulgarin einmal mehr, ihren Ruf als vielversprechende Nachwuchssängerin zu untermauern. Im Vergleich mit seinen Kollegen fällt Vladimir Chernov als Herzog von Nottingham deutlich ab. Der berühmte Bariton klingt hölzern, der Schmelz fehlt. Außerdem kann man den Text vor lauter Vokalverfärbungen kaum verstehen. Schnell erreicht Chernov die Grenze seiner stimmlichen Reserven.
Glücklicherweise ist Friedrich Haider ein Dirigent, der sich sensibel ganz auf Sänger einzustellen weiß. Hatte er die Philharmoniker am Premierenabend ohnehin des öfteren zum Piano-Spiel anzuhalten, war dies besonders nötig, wenn Chernov zum Einsatz kam. Ansonsten befeuerte Haider Chor und Orchester der Staatsoper zu so etwas wie Italianità. Klang die Ouvertüre zunächst noch recht nüchtern, steigerten sich die Musiker im Verlauf des Abends zusehends, beflügelt wohl auch von La Gruberova.
Eine Aufführung mit Gänsehaut-Garantie: Nicht verpassen!
Weitere Vorstellungen: 1., 6., 10., 15. März, alle 19.30 Uhr, Staatsoper
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