: Heino, Heintje und Howard
Im Takt mit Neil Armstrong: In Iva Švarcovás Film „Als Großvater Rita Hayworth liebte“, erlebt eine tschechische Einwandererfamilie das Wirtschaftswunder im Schnelldurchlauf
Es ist eine komische Welt, die sich da auftut. Eine Welt voller greller Farben, seltsamer Frisuren und obskurer Einrichtungsgegenstände. Es ist eine Welt, von der in letzter Zeit wieder viel zu hören ist. Die Bundesrepublik der ausgehenden Sechziger- und beginnenden Siebzigerjahre spielt eine der Hauptrollen in „Als Großvater Rita Hayworth liebte“. Aber dies ist nicht die BRD von Joschkas lebhafter Wohngemeinschaft, sondern eine, die aus Konsumtempeln und Kleinstadtmief, Notaufnahmelagern und Wiederaufbauleistungen besteht.
In diese Welt kommt Hannah 1969 mit kleiner Schwester, Mutter und Vater auf der Flucht aus der Tschechoslowakei, wo gerade der Prager Frühling sein gewaltsames Ende findet. „Ich will nach Hause“ sagt die Schwester immer wieder. Anfangs auf Tschechisch, dann auf Deutsch, später wird sie gar nicht mehr sprechen. Heimat, wo ist das? Vielleicht ja ganz woanders. Im Fernsehen flimmern Weltraumfahrer. „Wie die Astronauten wurde ich aus meiner Umlaufbahn geworfen“, denkt Hannah, „aber die Astronauten hatten Glück, sie mussten ihre Eltern nicht mitnehmen.“
Der Vater mit dem schönen Namen Kuba, in der ČSSR als Intellektueller verfolgt, muss sich auf dem Bau verdingen. Während er nostalgisch Becherovka trinkt, wird sich die Mutter der schönen, bunten Warenwelt hemmungslos hingeben. So durchlebt Hannahs Familie fast zwei Jahrzehnte zu spät noch einmal das Wirtschaftswunder im Schnelldurchlauf. Die erste Rolltreppe, die erste Barbiepuppe, die erste Süßwarenabteilung, der erste Italienurlaub, der erste Kaufrausch. Solidarität und Kommunismus sind nur noch Worthülsen aus dem Munde eines Halbstarken, der Ladendiebstahl mit Revolte verwechselt. Die Realität besteht nun aus Plastikmöbeln und Perücken, und an den Wänden der Kinderzimmer prangen Heintje, Heino und ein unnatürlich junger Howard Carpendale. „Die Wahrheit ist oft viel komplizierter“, sagen der Ex-Linke und der Alt-Nazi unisono.
Der stark autobiographische Film der aus der ČSSR emigrierten DFFB-Absolventin Iva Švarcová versucht dieser, seiner Wahrheit gerecht zu werden mit einer Detailtreue, die manchmal auf Kosten der Erzählung geht. Vieles wird nur angedeutet, angedacht, viele Geschichten, vielleicht zu viele nicht weiter gesponnen.
Švarcová hat Hannahs Sicht gewählt, um ihre Geschichte zu erzählen. Das soll die Welt verständlicher machen, und tatsächlich gelingt ihr der Blick auf eine längst zu Tode kolportierte und wiederbelebte Ära überraschend unverstellt.
Mitunter aber führt die kindliche Perspektive aber auch zu Vereinfachungen: Vor allem aber die nichttschechischen Figuren lässt Švarcová konsequent nur Klischees bedienen: Sei es der CIA-Mann, der sich kaugummikauend auf seinem Stuhl fläzt, sei es die Leiterin des Auffanglagers, die mit übertriebener Ordnungsliebe an ihre Aufgabe herangeht.
Manchmal hat Švarcová ihre Bilder eingefärbt, als wollte sie andeuten, dass diese Geschichte auch ein Märchen ist. Aber vielleicht ist es hier einfach die Patina der Vergangenheit, die sich melancholisch aufs Zelluloid gelegt hat.
Kunstvoll verschränkt Iva Švarcová die Ankunft im Kapitalismus mit den Erinnerungen von Hannah an die andere Seite des Eisernen Vorhangs, wo der geliebte Opa zurückgeblieben ist.
Eigentlich ist „Als Großvater Rita Hayworth liebte“ eine einzige Parallelmontage, deren Takt von der Mondlandung vorgegeben wird. Als Neil Armstrong schließlich seinen Fuß auf den Mond setzt, ist auch Hannah endlich angekommen in dieser komischen Welt.
THOMAS WINKLER
„Als Grossvater Rita Hayworth liebte“. Regie: Iva Švarcová. Deutschland/Schweiz/Tschechien 2000, 90 Min.Im Broadway (Tauentzienstr. 8, Charlottenburg) und Tonino (Antonplatz, Weißensee)
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