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Stepptanz mit Spitzbauch

Wahre Lokale (64): Das „Jolifante“ und der Schnitzeltag in der Mainzer Neustadt

Auswärtige Gäste quittieren das Rheinhessische sofort mit einer porentief reinen Gänsehaut

Montags ist Schnitzeltag im Lokal an der Ecke. Tatort dieser Ungeheuerlichkeit ist die Mainzer Neustadt. Der Anlaufweg der Gäste zum „Jolifante“ ist meist nicht länger als einige Luftlinien-Meter. Und deshalb wundert sich niemand, wenn ein Schnitzelfreund seine Hausschuhe unter den Tisch streckt, da er mal wieder das „Jolifante“ mit seinem Wohnzimmer verwechselt hat. Der Schmuddelfaktor der nicht mehr ganz jugendlichen Stammgäste und die Tatsache, dass man bei Eintritt sofort niedergeduzt wird, sorgen da eher für einen Orkan an Gemütlichkeit.

Auf den ersten Blick gleicht das „Jolifante“ einem Wintergarten. Die komplett kühl-verglaste Außenseite wird aber stilsicher durch innere rustikale Werte ergänzt: durchgängig tiefbraunes Mobiliar, angeführt von der längsten linksrheinischen Holzbank, die sich an die rechte Seite der schlauchförmigen Kneipe schmiegt. Zum festen Inventar gehören zudem 35 Schlingpflanzen, ein Geldspielautomat sowie sechs Puzzles und drei Kartenspiele. Und selbstverständlich der Kellner sowie die im Hintergrund agierende Meisterköchin, deren Schnitzel garantiert BSE-MKS-unbelastet sind.

So kommt es, dass die halbe Mainzer Neustadt immer wieder montags im „Jolifante“ auf Schnitzeljagd geht. Im Eifer des Gefechts stellt sich gelegentlich die Frage, wie der Name des Lokals denn auszusprechen sei. Ob buchstäblich oder doch eher – weil die Rheinhessen eine französische Vergangenheit haben – frankophil, nämlich „Scholifon“. Oder verkürzt „Scholi“. Diese Version wird besonders nach einigen Bieren bevorzugt. Nachdem alle Laute irgendwie verschoben wurden, einigt sich die Runde darauf, dass jeder es nennen darf, wie er will. Der Rest ist Schnitzel. Die Portionen sind so üppig, wie es sich gehört, und verlangen vollen Einsatz. Dennoch bleibt noch die Kraft, sich über das alte Ehepaar am Nachbartisch zu freuen, das sich vor den Getränken anschweigt und der Hintergrundmusik lauscht. Meistens Nine Inch Nails oder Depeche Mode, was eine erfrischende Brechung des altbackenen Ambientes ist und in dezenter Lautstärke den Gastraum berieselt. Dieser Zurückhaltung ist es zu verdanken, dass man im Fünfminutentakt deutlich hören kann, wie es durch die dichten Rauchschwaden rheinhesst: „Isch dät dir noch a Bier abkaafe.“ Auswärtige Gäste quittieren das sofort mit einer porentief reinen Gänsehaut. Sie zetteln daraufhin eine Grundsatzdiskussion über Sprachpflege an und werden kurzerhand zu militanten Dialektgegnern. Was sich während des Essens aber bald wieder legt. Die Rheinhessen sprechen zwar komisch, aber niemals mit vollem Mund. Und sind somit Vorbild für alle Gäste aus hochdeutscheren Regionen.

Wenn alles gesagt und aufgegessen ist, stellt sich ein großes Wohlgefühl ein. Allerdings hat die Sache einen Haken: Nüchtern hat das Lokal bisher noch niemand verlassen. Das liegt aber nicht an den Gästen, sondern einzig und allein am Zeit- und Maßgefühlzerstörer, den der Besitzer in die Glasfront eingebaut hat und der beim Eintritt aktiviert wird. Das hat zur Folge, dass bei fast jedem Besucher – kaum schnappt er am Ende des langen Abends nach frischer Luft – einige Gehirnwindungen weggepustet werden. Und er deutliche Jolindrome zeigt: zum Beispiel, dass der Heimweg mit einem Stepptanz bewältigt werden muss. Oder in 17 Schreitsprüngen inklusive zweieinhalb Pirouetten. Was so manchen Begleiter zum ständigen Kopfschütteln veranlasst. Zu Hause heißt es schließlich über den eigenen Bier- und Schnitzelspitzbauch stöhnen. Im „Jolifante“ hingegen nimmt das Bier- und Schnitzelwerfen unter Nachbarn noch lange kein Ende. JUTTA HEESS

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