piwik no script img

Grundsteinlegung fürs Hollywoodkino

■ Am Samstag im Metropolis in einer neuen Kopie: Das dreistündige, aus vier Episoden der Geschichte gestrickte Epos Intolerance von David W. Griffith

Wie sich das Kino seinerzeit vom Theater emanzipierte, macht nun das Metropolis noch einmal nachvollziehbar: mit David Wark Griffiths Intolerance. In dem 1916 entstandenen Film verkoppelte Griffith vier Teilstücke der Menschheitsgeschichte zu einem eifernden Wurf gegen Schäden, die seiner Meinung nach den Guten auf der Erde durch mangelnde Toleranz entstehen. Ablesen zu können glaubte er das an dem Fall Babylons, am Verrat der Pharisäer an Jesus, an der in der Bartholomäusnacht gipfelnden Hugenottenverfolgung und am zeitgenössischen Kampf zwischen Proletariat und Kapitalisten in den USA. Mag der Film auch formal bahnbrechend gewesen sein, an den Kinokassen floppte diese tour de force durch die Geschichte und leitete das Ende von Griffiths kaum zehn Jahre andauernder Karriere als Regisseur ein.

Inhaltlich wohl eine etwas eitle Reaktion des 1875 in Kentucky geborenen Griffith auf die Kritik am Rassismus und der Ku Klux Klan-Verherrlichung seines im Jahr zuvor entstandenen Bürgerkriegsfilms The Birth of a Nation, erweiterte er dessen avancierte Bildsprache in Intolerance noch um einige Elemente. The Birth of a Nation konnte sich übrigens trotz der Kritik in manchen Kinos bis zu 44 Wochen lang im Spielplan halten, die große Masse des Publikums begeisterte sich vor allem für die aufwendigen Schlachtendarstellungen und sentimentalen Liebesszenen. Schon hier verband Griffith die zuvor sporadisch „ausprobierten“ Mittel wie Großaufnahme (das Ende der „Theaterperspektive“ der Kamera), den Wechsel verschiedener Einstellungsgrößen, ein weniger exaltiertes Mienenspiel der Schauspieler und die Variation der Bildformate durch cache, um nur einige zu nennen, und ordnete sie – darin bestand die „Neuerung“ – zuvor festgelegten erzählerischen Notwendigkeiten zu.

In Intolerance montierte Griffith dann erstmals Aufnahmen verschiedener Episoden derart, dass ein allen diesen Geschichten unterstellter Sinn für die Zuschauer ansichtig wird. Oder vielmehr ansichtig werden sollte, denn das Projekt misslang: Selbst dem US-amerikanischen Publikum seiner Zeit erschienen die Zusammenhänge allzu sehr übers Knie gebrochen.

Auch verlor Griffith immer wieder die intendierte Aussage aus den Augen. So geriet ihm beispielsweise der Kampf um Babylon zu einer damals zwar ungewöhnlich teuren und aufwendigen Schlacht aus Kulisse, unzähligen Statisten und Pyro-Effekten. Was all dies aber mit Intoleranz zu tun haben sollte, konnte selbst die geschickte Montage, die eine anderen Kunstformen unmögliche Simultanität unterschiedlicher Räume und Zeiten erzeugte, nicht mehr vermitteln.

Interessant ist Intolerance aber vielleicht gerade deswegen: Unbestritten einer der Grundsteine des Illusionskinos made in Hollywood, zeigt er zugleich die Grenzen der „betrügerischen“ Mittel auf, die der Kunstform Kino gesetzt sind. Gegen seine Manipulationen weiß das Publikum offenbar sehr wohl eigene Haltungen in Anschlag zu bringen.

Christiane Müller-Lobeck

 Sa, 17 Uhr, Metropolis

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen