: Öfter mal das Leben üben?
Yasmina Rezas Beziehungs-Ödnis-Stück Drei Mal Leben, inszeniert von Ulrich Waller an den Kammerspielen ■ Von Liv Heidbüchel
Noch abends gemütlich ungepflegt im Bademantel herumhängen, dabei ein wenig Akten für die Arbeit lesen, der Mann kümmert sich um das Kind: Das ist ein Leben! Doch so einfach ist das ja seltenst zu haben. In Wahrheit ist der kleine sechsjährige Sohn ein regelrechter Quälgeist, der Gatte verzagt bemüht, deshalb noch lange nicht fähiger, und zu allem Übel platzt der erst für den darauffolgenden Tag eingeplante hohe Besuch in die heimelige Atmosphäre. Kein Le-bben? Die Pariser Erfolgsdramatikerin Yasmina Reza gibt in ihrem jüngsten Stück Drei Mal Leben nur eine Antwort: Doch, so sieht das Leben von Menschen in Ehen unter Umständen aus. Ernüchternd, aber so ist es eben. Zwei Paare, alle zwischen 40 und 50, treffen dreimal aufeinander – immer am gleichen Ort, immer einen Tag früher als verabredet. Was variiert, sind die Dialoge. Allerdings bekommt hier keine der Figuren die Chance auf eine revolutionäre Kehrtwende: Unterschiede muss man schon in den feinen Nuancen suchen.
Am Sonntag hat Rezas Stück in der Regie von Ulrich Waller an den Hamburger Kammerspielen Premiere. Für Waller Grund zur Freude, schließlich bringt er es als Zweiter auf eine deutsche Bühne.
Ebenso verhielt es sich mit KUNST, das Reza zur international meistgespielten Dramatikerin machte und mit Ulrich Tukur, Dominique Horwitz und Christian Redl auch an den Kammerspielen zum absoluten Publikumsrenner wurde. Regisseur Waller ist zutiefst begeistert von Reza: „Niemand im deutschen Sprachraum schreibt Komödien wie sie.“ Und ist dabei so fern vom Boulevard. Damit gehört Waller zu denen, die diese herablassende Etikettierung bei Reza für absolut ungerechtfertigt halten. Er bewundert vielmehr ihre „jüdische Leichtigkeit“, mit der sie „auf intelligente Weise derzeitige gesellschaftliche Zustände und Beziehungen beschreibt“.
Im Gegensatz zu jungen deutschen Autoren kann sie Figuren schreiben, meint Waller. In Drei Mal Leben hat er die Rolle der klugen Aktenleserin mit Barbara Auer besetzt, ihren form- und farblosen Mann gibt Burghart Klaußner. Das unerwartete Gastpaar Ines und Hubert Finidori spielen Leslie Malton und Rudolf Kowalski, beide zuletzt in Hautnah an den Kammerspielen zu sehen.
Für den Sohn Arnaud braucht man niemanden. Er ist nämlich nie zu sehen, sondern nur zu hören. Doch Arnaud braucht auch keiner. Stattdessen sind die späten Eltern überfordert von Erziehungsdingen und wollen am liebsten ihre Ruhe. Damit sie ungestört mit den Gästen parlieren können, stopfen sie Arnaud mit Keksen, Obst und Käse voll. Ergo: Futtern statt Zuneigung.
Nicht minder tragisch, dass sich die Paare gegenseitig als „Freunde“ bezeichnen. Denn animiert von zuviel Weißwein auf zuwenig Cra-cker, verlegt man sich mehr und mehr auf Sticheleien unterschiedlicher Größenordnung. So steht Gastgeber Henri in einem klaren Abhängigkeitsverhältnis zu Hubert Finidori: Beide sind Astrophysiker, Henri strebt nach langer Brache nach einer Veröffentlichung und erhofft sich von Hubert Finidori Unterstützung. Zu diesem Zwecke hat er sich einen sogenannten „finidorischen Ton“ zugelegt. Der ist zwar unterwürfig, aber zu nichts nutze. Denn der durchaus gebauchpinselte Hubert lässt es sich trotzdem in keiner der drei Versionen nehmen, Henri von einem just erschienenen Konkurrenzartikel zu unterrichten. In keiner Version gelingt es Henri, der Melancholie angesichts der Unmöglichkeit seines wissenschaftlichen Comebacks dauerhaft auszuweichen.
Keine der Frauen in diesem holpernden Vierergespann macht eine bessere Figur: Mal versuchen sie zu vermitteln, dann verstehen sie sich aufs Intrigieren. Fällt ein offenes Wort, bricht richtig böser Streit aus. Mal lässt Sonja Huberts Avancen zu, dann wieder hält sie zu ihrem Mann. Mal tritt Ines als die in der Ehe Untergebutterte, sogar Geschlagene auf. Doch manchmal scheint durch, dass sie nicht so dümmlich und laufmaschenfixiert ist, wie der selbstgefällige Hubert glaubt.
Ulrich Waller will die Figuren bei seiner Inszenierung jedoch keineswegs vorführen. Wenn der gezwungenermaßen gemeinsam herumzubringende Abend in unerträgliche Peinlichkeit entgleist, soll von schenkelschlagender Komik nichts übrig bleiben. Schließlich gibt es noch eine Botschaft ans Publikum. „Drei Versionen des Lebens“, so das Original, könnten sicher auch fünfzig und mehr sein: Das Leben aber bleibt.
Premiere: So, 1. April, 20 Uhr; weitere Vorstellungen: bis 22. April, Di-So, jeweils 20 Uhr
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