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Lesen und weitergeben

Mit seinen Familienersparnissen gründete ein Mann aus Leipzig 1993 eine Zeitung in Kambodscha. Bernard Krishers „Cambodia Daily“ gilt heute als das einzige unabhängige Qualitätsblatt des Landes – und zahlt beinahe taz-Gehälter

von ANDREA KATH

Die altersschwache Klimaanlage brummt vor sich hin. Dann fällt, wie so oft, der Strom aus. „Scheiße“, flucht Schlussredakteur Bill Bryan, die letzten Änderungen am Layout von Seite 3 waren noch nicht gespeichert. „So was passiert eigentlich regelmäßig“, kommentiert sein Kollege Matt Read das Ganze achselzuckend.

Arbeitsalltag in der Redaktion der Cambodia Daily in Phnom Penh. Die englischsprachige Tageszeitung gilt bis heute als das einzige unabhängige Qualitätsmedium in Kambodscha. 1993 hat der in Leipzig geborene Bernard Krisher die Daily gegründet. „Ich wollte am Ende meines Lebens noch einmal etwas richtig Sinnvolles tun“, erzählt der heute 69-jährige, der 18 Jahre lang als Korrespondent für Newsweek aus Ostasien berichtet hat und heute mit seiner Frau in Tokio lebt. Nach den ersten freien Wahlen in Kambodscha 1993 wollte er nicht nur dem kriegsgeschädigten Land zu einer freien Presse verhelfen, auch die Journalistenausbildung lag ihm am Herzen.

Agenturen kostenlos

Krisher hat die Zeitung mit den Ersparnissen seiner Familie gegründet, wie er erzählt. Anfangs hätten ihn deshalb viele für verrückt gehalten. Jeder sei davon überzeugt gewesen, dass eine solche Zeitung überflüssig sei. „Es wird nicht genug Leser geben und du wirst nie Geld damit machen“, erinnert sich Krisher an die Kommentare einiger Kollegen und Freunde. „Aber ich habe schon immer das gemacht, was ich wollte“, sagt der engagierte Herausgeber und grinst. Unermüdlich hat Krisher für seine Zeitungsidee damals weltweit geworben. Die wichtigsten Nachrichtenagenturen stellen ihre Meldungen und Berichte bis heute kostenlos zur Verfügung. Auch Artikel aus der New York Times, der Washington Post oder der Los Angeles Times dürfen honorarfrei nachgedruckt werden. „Die Agenturen und Zeitungen verstehen, was wir hier machen“, sagt Krisher, „sie wissen, dass wir nicht profitorientiert sind.“

Seit der Erstausgabe vom 23. August 1993 ist die Berichterstattung stetig umfangreicher geworden. Die Daily erscheint mittlerweile montags bis samstags in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh und wird auch in andere Landesteile geliefert. Zusätzlich zu den 16 Seiten in Englisch werden die wichtigsten Meldungen und Berichte in die Landessprache Khmer übersetzt.

„Wollen Sie Aufbauarbeit in einem Entwicklungsland leisten?“ So wirbt Krisher in den USA um engagierte Journalisten, die bereit sind, für ein oder zwei Jahre bei einem eher mageren Monatsgehalt von umgerechnet 1.700 Mark ihr Knowhow der Daily zur Verfügung zu stellen. Mangel an gutem Nachwuchs herrsche nicht, sagt Krisher. Die Redaktion sei in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Mittlerweile arbeiten knapp dreißig Frauen und Männer, je zur Hälfte Amerikaner und Einheimische, bei dem Blatt. Ob der Staatsstreich Hun Sens Mitte 1997, der Tod Pol Pots im April 1998 oder der derzeit heftig diskutierte Gesetzentwurf über die Gerichtsverhandlung ehemaliger Führer der Roten Khmer: die Daily berichtet kritisch über die innenpolitischen Ereignisse – und das gefällt nicht immer denen, über die sie berichtet.

„Man hat unsere Zeitung aber nie geschlossen“, sagt Krisher und meint, man müsse meist nur lange genug warten, dann lösten sich mit der nötigen asiatischen Gelassenheit fast alle Probleme ohnehin von selbst.

Maschinenspende

Am handlichen Format der Zeitung hat sich seit ihrer Gründung nichts geändert. Damals wie heute wird sie auf dünnem Papier im DIN-A-4-Format gedruckt. „Das spart Kosten“, sagt Krisher, der stolz darauf ist, dass die Zeitung auf einer gespendeten Druckmaschine aus Deutschland hergestellt wird. Sein vor einigen Jahren gestorbener Freund Dieter Haas, ehemaliger Chefredakteur der Rhein-Neckar Zeitung, hatte diesen Deal damals für ihn eingefädelt. Mit umgerechnet siebzig Pfennig pro Ausgabe ist die Daily für die meisten Kambodschaner dennoch zu teuer: „Es ist eine Zeitung für Menschen, die andere leiten und beeinflussen, für diejenigen, die gut informiert sein wollen.“ Das helfe der Demokratisierung des Landes. Für diese Meinungselite werden täglich rund 3.500 Exemplare gedruckt. Doch Chefredakteur Brian Mockenhaupt ist sicher, dass die Zahl der Leser weitaus größer ist. „Oft kauft jemand die Zeitung und gibt sie dann weiter an einen Freund oder Kollegen“; sagt der 26-Jährige, der seit knapp zwei Jahren bei der Daily arbeitet. Und: ganz gleich, ob man den Mopedfahrer an der Ecke oder die Kellnerin im Restaurant fragt: die Cambodia Daily ist fast jedem ein Begriff.

Spätestens wenn die Abendschicht ihren Dienst antritt, dröhnt Countrymusik oder kubanischer Sound aus dem CD-Player. CNN strahlt wortlos seine Weltnachrichten aus dem Fernseher in der hinteren Ecke in die neonerleuchtete Nachrichtenredaktion. Einen Redaktionsschluss gibt es nicht. Der Druckereibote wartet, bis auch die letzten Änderungen am Layout eingearbeitet sind. Und nicht nur das unterscheidet die Daily von anderen Tageszeitungen.

Keine Kommentare

Das Blatt verzichtet bewusst auf eigene Kommentare und Leitartikel. „Erstens sind wir Ausländer und außerdem haben wir keine ernst zu nehmende Konkurrenz hier in der Region“, begründet Krisher seine Haltung.

Nur ein einziges Mal in der Geschichte der Zeitung hat er bisher eine Ausnahme gemacht. Als im April 1994 der frühere US-Präsident Richard Nixon starb. „Good riddance“, Gott sei Dank, den sind wir los, lautete der wenig schmeichelhafte Nachruf auf den US-Präsidenten, dem Krisher die Verantwortung für die vergangenen Kriege und die heutige politische Lage in der Region gibt. „Wenn Kissinger irgendwann einmal stirbt“, sagt Krisher über den ehemaligen Außenminister Nixons entschlossen, „dann werde ich wieder eine Ausnahme machen.“

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