: Testreihen frustrieren viele US-Schüler
Um ihre Schulen unter Leistungsdruck zu setzen, halten viele Bundesstaaten Zentralprüfungen ab. Bis zu 90 Prozent der Schüler fallen durch. Gute Schulen und Eltern befürworten Boykott der Prüfungen: Weil sie die Kreativität behindern
BERLIN taz ■ Die USA, das Musterland des Marktprinzips, bekommen Probleme mit dem verschärften Wettbewerb an ihren Schulen. Der Versuch zahlreicher Bundesstaaten, durch zentrale landesweite Leistungsvergleiche ihre Schulen auf Trab zu bringen, führt mancherorts zu extrem hohen Durchfallquoten – bis zu 90 Prozent der Schüler schaffen die Zentralprüfungen nicht. Inzwischen weigern sich Eltern anerkannt guter Schulen, ihre Kinder an den Prüfungen teilnehmen zu lassen. In New York rufen sie zu einem Boykott auf.
In Scarsdale, einer reichen Vorstadt New Yorks, planen Eltern eine koordinierte Aussetzung der standardisierten Tests: „Wir glauben nicht, dass diese Tests ein Weg zu einer gehaltvollen Bildung sind“, sagte Leslie Berkovits der New York Times. Die Mutter eines Schülers will durch ihren Boykottaufruf ein Zeichen gegen die zentralen Leistungserhebungen setzen. Denn die behindern ihrer Ansicht nach die Kreativität in Schulen.
28 Bundesstaaten benutzen mittlerweile solche Prüfungen als Teil der Abschlussarbeiten. Und beinahe alle Staaten der USA verwenden sie, um die Leistungsfähigkeit der Schulen erst zu messen – und sie dann in Schulrankings einzordnen. Die landesweiten Prüfungen werden in der vierten, der achten und der zehnten Klasse durchgeführt in den Fächern Mathematik, Englisch, Soziales und Wissenschaften. Ausgelöst wurde die Testwelle in den USA durch internationale Vergleichstests wie die TIMSS-Studie, die den Schülern im Land der unbegrenzten Möglichkeiten teilweise sehr beschränkte Aussichten attestierte. Mit dem laufenden Überprüfen staatlich gesetzter Leistungsstandards sollen die Schulen nun permanent auf ihre Ergebnisse aufmerksam gemacht werden.
Jetzt aber rebelliert mancherorts sogar die Schulbürokratie. Der Schuldezernent von Scarsdale etwa ermuntert die Eltern, sich dem Testboykott anzuschließen. In einem Brief schrieb Superintendent Michael McGill, die Exzesse der Leistungsstandards hätten zu einem regelrechten Bildungsstillstand geführt: Die Tests, so die Suada des Schulaufsichtsbeamten, „lenken von wichtigen lokalen Zielen der Schulen ab, sie betonen simplizistische und manchmal ungeeignete Prüfungen, sie befördern unnötige Ähnlichkeiten in Lehrplan und Unterricht“. McGill resümierte dramatisch: Tests unterminieren das Hervorbringen von Spitzenleistungen.
Ein hoher New Yorker Kultusbeamter widersprach dem kühl. Die Testserien würden die Kreativität der Einzelschulen bei der Unterrichtsgestaltung keineswegs behindern. Niemand müsse in einer guten Schule extra auf das Datum des Testbeginns hin lernen – es reiche vollkommen aus, die Schüler kontinuierlich auf die abgefragten Standards hin zu unterrichten.
Diese Ansicht stimmt offenbar nur für Spitzenschulen. Für die Mehrheit der Schulen bedeuten die standardisierten Tests außergewöhnliche Anstrengungen – und herbe Enttäuschungen. In mehreren Bundesstaaten der USA gab es verheerend schlechte Ergebnisse. Arizona zum Beispiel musste mitansehen, wie knapp 90 Prozent seiner Jugendlichen an zentral ausgegebenen Mathematikaufgaben scheiterten. Bei Schreibtests fielen „nur“ zwei Drittel der Schüler durch. Andere Staaten wie Kalifornien, Alaska oder Maryland haben ähnliche Erfahrungen gemacht. In viele Staaten haben die Schulminister daher die verbindliche Integration der Testreihen in die Abschlussprüfungen zunächst verschoben.
Den Grund für die schlechten Noten sehen Experten weniger im Unwissen der Schüler als im falschen Ehrgeiz der Politik: Das Niveau der Zentralprüfungen ist oft zu hoch. „Legen wir die Latte höher, die Kinder werden dann schon drüber springen“ – diese Haltung der Politik mache keinen Sinn, kritisierte Robert Schaeffer von der Organisation für „Offenes und Faires Testen“. Schaeffer und andere haben die Befürchtung, dass Gouverneure und Erziehungsminister in den Staaten sich die Meinungsumfragen zu sehr zu Herzen nehmen. Wütende WählerInnen geben regelmäßig zu Protokoll, es solle mehr getestet werden – wohl damit keine „Kuschelecken“ in den Schulen entstehen.
Die Gegner der Zentralprüfungen denken da ganz anders. „Die Leute verwechseln hohe Standards mit standardisierten landesweiten Prüfungen“, sagte die boykottwillige Mutter Deborah Rapaport der NY Times. Und die Schülerin Ashley Rogers denkt: „Diese Tests sind nur eine Fassade, um der Öffentlichkeit zu versichern: Mit unserem Schulsystem geht es bergauf.“ Die 16-jährige Rogers gehört zu den wenigen Schülern, die den Standardtest in Arizona bestanden haben. CHRISTIAN FÜLLER
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