: Moralapostel für den Kanzler
Alles hätte so schön werden können: Am ersten Tag im neuen Kanzleramt beschließt das Kabinett einen Ethikrat. Doch ein Stuhl bleibt leer
aus Berlin MATTHIAS URBACH
Mitten in der Bundespressekonferenz reagiert Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye ungewohnt gereizt. Ob der Kanzler sich noch weitere Absagen für seinen Ethikrat eingehandelt habe, will da ein Journalist wissen. „Sie können noch 200 Personen nennen, an die irgendeiner gedacht hat“, antwortet Heye erregt. Schröders Sprecher macht es sichtlich keinen Spaß mehr, den neuen Nationalen Ethikrat zu präsentieren. Es waren zwar nicht 200, aber doch 5 Absagen, die Schröder noch im letzten Moment hinnehmen musste.
Dabei hätte alles so schön sein können: Am Vormittag bezieht das Kabinett das neue Kanzleramt und beschließt gleich einen Rat, der sich mit der Gentechnik befassen soll. Auf in eine schönere Zukunft sozusagen. So glatt lief es aber nicht. Denn einen Platz im 24-köpfigen Ethikrat konnte das Kanzleramt auch auf die Schnelle nicht mehr besetzen. Abgesagt hatte der Präsident des Industrie- und Handelstages, Hans-Peter Stihl, weil er sich um seine Firma kümmern müsse. Auch Ver.di-Chef Frank Bsirske und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher winkten ab.
Schwerer noch wiegen die Absagen zweier Experten, die sich in der Debatte bereits einen Namen gemacht haben: der Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim, die den Verdacht hegt, man wolle „sich ein Zustimmungsgremium heranholen“ (siehe Interview), und des früheren Bundesverfassungsrichters Wolfgang Böckenförde, der offenbar ähnliche Bedenken hegt. Beunruhigt durch diese Absagen, entschied sich die gentechnikskeptische Biologin Regine Kollek erst im letzten Moment, doch noch Schröders Einladung zu folgen.
Offiziell verfolgt der Kanzler zweierlei. Der Rat soll erstens die Regierung beraten, Stellungnahmen zu technischen Neuerungen abgeben und Empfehlungen für die Politik geben. Gleichzeitig soll er eine „breite gesellschaftliche Debatte“ in Gang setzen und sie „viel intensiver und transparenter als bisher führen“.
Insgesamt hat der Bundeskanzler kein glückliches Händchen mit dem Nationalen Ethikrat gehabt. Ohne die Regierungsfraktionen zu konsultieren, hatte er seine Idee auf den Weg gebracht. Auch bei den Mitgliedern der Bundestags-Enquetekommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ kam kein Anruf aus dem Kanzleramt. Briefe einzelner Mitglieder wurden nicht beantwortet. Zwar zog das Kanzleramt noch die Spitzen des grünen Koalitionspartners in den vergangenen Wochen hinzu. Doch selbst in der SPD-Fraktion herrscht angesichts der nun berufenen Personen der Eindruck vor, dass die Gentechnik-Befürworter in der Mehrheit sind. Offen freilich sagt das keiner. Selbst der SPD-Abgeordnete Wolfgang Wodarg, Mitglied der Enquetekommission, der das Vorhaben des Kanzlers anfangs scharf kritisiert hatte, gibt sich inzwischen kompromissbereit. „Ich hoffe, dass wir nicht nebeneinanderher arbeiten, sondern voneinander profitieren.“
Monika Knoche, die für die Grünen in der Enquetekomission sitzt, erklärt dagegen, die Einrichtung des Ethikrats beim Kanzler rieche nach „demokratischem Zentralismus“. Und ist damit ausnahmsweise mal einig mit der CSU. „Gegenüber Zukunftsfragen, die die ganze Nation betreffen“, so Generalsekretär Thomas Goppel, „ist diese Selbstherrlichkeit ein Schlag gegen die repräsentative Demokratie.“
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