: Daheim im blütenweißen Sachsen
Wie ein top-integrierter afrodeutscher Polizist zum Verbrecher wurde: Branwen Okpakos Dokufilm „Dreckfresser“
Nur zwei Worte und ein Bild. Es sind nur zwei Worte und ein Bild, doch sie verändern ein ganzes Leben. „Ein Sachse“, steht über dem Porträtfoto von Sam Meffire, bundesweit plakatiert, mehr als zwei Meter hoch. Danach wurde alles anders. Danach kamen die Medien, kam der Innenminister, kam die Prominenz, kam der Ruhm, kam schließlich, wie der tragische Held selbst diagnostiziert, der „Realitätsverlust“.
Der Aufstieg und Absturz von Sam Meffire, der vom vorbildlich integrierten afrodeutschen Polizisten zum Model für ein fremdenfreundliches Sachsen und schließlich zum Verbrecher und Flüchtling wird, ist eine Geschichte, wie sie die Dokumentarfilmerin Branwen Okpako für „Dreckfresser“ nicht hätte exemplarischer erfinden können.
Sam Meffire wird 1970 in ein blütenweißes Sachsen hineingeboren. Sein afrikanischer Vater stirbt zwei Stunden vor seiner Geburt, vergiftet von eifersüchtigen Kommilitonen, wie Meffires deutsche Mutter noch heute fest überzeugt ist. „Bist du geliebt worden als Kind?“, wird Sam gefragt. Er sitzt im Besucherzimmer des Gefängnisses und schweigt.
1992 wird Meffire der erste farbige Polizist in Sachsen und fällt schließlich der Werbeagentur Scholz & Friends in die Hände, die den Imageschaden des Bundeslandes im Jahre 1 nach Hoyerswerda beheben soll. Der intelligente, eloquente Meffire ist die Idealbesetzung als Aushängeschild für ein weltoffenes Sachsen und wird prompt durch die nationalen wie internationalen Medien gezerrt. Er lässt sich bereitwillig zerren und wird schließlich gar ein guter Freund des damaligen sächsischen Innenministers Heinz Eggert, den Meffire noch heute bewundernd eine „Führerpersönlichkeit“ nennt.
Doch zusehends eckt der Waffenfetischist und Gerechtigkeitsfanatiker an im bürokratischen Polizeidienst und kommt seiner nach diversen Disziplinarverfahren drohenden Entlassung mit einer Kündigung zuvor. Er gründet eine Sicherheitsfirma, gerät in finanzielle Schwierigkeiten, wird zum Geldeintreiber, begeht Raubüberfälle und Erpressungen, flieht nach Afrika, kommt schwer krank zurück und wird zu zehn Jahren Haft verurteilt.
So chronologisch folgt auch die in Nigeria geborene Filmemacherin diesem deutschen Lebenslauf. Geschickt ergänzt und kontrastiert Okpako die mit Meffire im Gefängnis geführten Interviews mit den Aussagen von Freunden, Weggefährten, Kollegen, Werbern und Journalisten und eröffnet nicht nur alternative Sichtweisen, sondern mitunter auch Abgründe.
Ob Eggert oder Tagesspiegel-Chef Giovanni di Lorenzo, der dereinst für die Süddeutsche Zeitung ein Porträt über Meffire schrieb, oder der Stern-Reporter, der ihm bei der Flucht half und dabei eine Story fand, sie alle dürfen erzählen, was der schwarze Mann für sie war. Und erzählen dabei doch weniger von Meffire, als dass sie etwas von sich offenbaren, von Medien- und Politmechanismen, vom deutschen Dasein.
Immer wieder schneidet Okpako souverän Bilder aus dem Alltag quer, findet deutsche Realitäten. Im Off werden Texte von Meffire gelesen, in denen sich ein romantischer, in Klischees denkender Mensch offenbart, der so gar nicht zu der analytischen Person aus dem Besucherzimmer passen will. So entsteht wie aus vielen Puzzleteilen langsam der Mensch Sam Meffire. Vor allem aber wird eine deutsche Biografie entworfen, wie sie so oder ähnlich in nahezu jeder Stadt in diesem Lande entstehen könnte. Eine Biografie im Schatten des alltäglichen Rassismus in D. THOMAS WINKLER
„Dreckfresser“, Regie & Buch: Branwen Okpako, Deutschland 2000, 80 Min. Im fsk am Oranienplatz, Kreuzberg
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