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„Du bist fertig, Marco!“

Der italienische Kletterspezialist Marco Pantani war lange Zeit das hochverehrte Radsportidol seines Landes, nun aber haben ihn Dopingvorwürfe zermürbt und an den Rand seiner Karriere getrieben

aus Parma SEBASTIAN MOLL

Pfingsten ist das Fest der Auferstehung und im katholischen Italien ein hoher Feiertag. Marco Pantani hätte dieses Fest gerne zum Anlass seiner eigenen Wiederauferstehung gemacht. Doch aus der Himmelfahrt wurde eine Passion, aus der Erlösung ein Kreuzgang. Die hohen Dolomiten standen beim Giro d’Italia über Pfingsten auf dem Programm, eigentlich das Lieblingsterrain des kleinen, leichten Kletterspezialisten aus der Emilia Romagna. Den Giro 1998 hatte er hier in grandioser Manier gewonnen, ebenso wie er im selben Jahr bei der Tour de France in den Alpen über seinen Widersacher Jan Ullrich triumphierte.

Doch in diesem Jahr waren die Dolomiten zu hoch und zu steil für Pantani. An der Marmolada und am Pordoi musste er die neuen Herren des Giro, den Führenden Gilberto Simoni sowie Dario Frigo, den Zweiten, um fast sieben Minuten ziehen lassen. Ein Abstand, der bei einer großen Rundfahrt nicht mehr wettzumachen ist. Was im vergangenen Jahr bei der Tour de France, wo er zwei Etappen gewann, gelungen war, sollte Pantani diesmal, beim Giro, nicht noch einmal glücken: sich nahezu ohne Rennpraxis und mit mangelhafter Vorbereitung wundersam zu einer Weltklasseform aufzuschwingen.

„Il Pirata“ scheint mittlerweile nicht mehr dazu in der Lage zu sein, den Druck, unter den er wegen der Dopingvorwürfe gegen ihn geraten ist, abzuschütteln. Wegen Verdachts auf EPO-Doping wurde Pantani 1999, den Sieg in greifbarer Nähe, vom Giro ausgeschlossen und für mehrere Wochen gesperrt. Die Tour de France im gleichen Jahr war für ihn damit gestorben. Es folgten Ermittlungen der italienischen Staatsanwaltschaft auf Grund des nur in Italien bekannten Straftatbestandes des „Sportbetrugs“: In einem Fall ist Pantani bereits rechtskräftig verurteilt, in einem anderen wird er noch vernommen.

Schlimmer noch als die juristischen waren für Pantani jedoch die psychologischen Konsequenzen. Von schweren Depressionen geplagt, hat er seit 1999 mehrfach sein Training unterbrochen und sich in sein Haus in Cesenatico zurückgezogen. Auch das Aufflackern seiner Größe bei der Tour de France des vergangenen Jahres änderte daran nichts: Nicht ein einziges Rennen fuhr er in diesem Frühjahr vor dem Giro zu Ende. Dass die Tour-de-France-Leitung seine Mannschaft nicht zur diesjährigen Frankreich-Rundfahrt einlud, versetzte der ohnehin schon labilen Verfassung Pantanis einen weiteren Schlag. „Das war eine Katastrophe“, sagt der Sportdirektor von Pantanis Equipe „Mercatone Uno“, Giuseppe Martinelli, zu der Entscheidung aus Paris. Zu allem Überfluss vergrault Pantani durch sein kraftloses Auftreten beim Giro nun auch noch die Tifosi, die bislang durch dick und dünn für ihn gingen. „Du bist fertig, Marco!“, riefen sie ihm zu, als er abgehängt durch die Dolomiten schnaufte, mit Simoni und Frigo haben die Fans sich neuen Idolen zugewendet.

Am allerschlimmsten für Pantani, dem als letztem Fahrer das Kunststück gelang, im selben Jahr Giro und Tour zu gewinnen, ist, dass die Fans Recht haben könnten. Zwar bekräftigt Martinelli, dass Pantani noch lange nicht „fertig“ sei. Allerdings bleiben ihm nach dem verkorksten Giro und der ausgefallenen Tour in diesem Jahr kaum mehr Möglichkeiten, sich zu rehabilitieren. Bestenfalls bei der Spanienrundfahrt kann sich Pantani noch zeigen, doch die gilt unter den Rundfahrten als die am wenigsten hochkarätige und deshalb als nur bedingt aussagekräftig.

So kann Pantani seinen Geldgebern nicht mehr viel Gutes tun, wie er seinen Sponsoren überhaupt in letzter Zeit mehr schadet denn nützt. „Ja, wir haben Probleme mit den Sponsoren“, gibt Giuseppe Martinelli zu. Dass Pantani nun auch bei den Fans durchgefallen ist, dürfte die Lage nicht eben verbessern. Pantanis Kontrakt läuft zum Jahresende aus, lässt Martinelli durchblicken. Und vielleicht ist es für die Mannschaft besser, den Vertrag nicht zu verlängern. Anderswo anzuheuern dürfte für einen, der von der Tour de France ausgeladen wurde und vor Gericht steht, auch nicht gerade einfach sein.

Einer der eindrucksvollsten und interessantesten Figuren des Radsports droht ein trauriges Ende. In die Annalen würde er dann eingehen, als der, der die „Doping-Tour“ gewann, bei der die Polizei 1998 mehr Schlagzeilen machte als der Sport. Und der im Leibchen des Führenden beim Giro rausgeschmissen wurde. Ob Marco Pantani wohl noch eine Chance hat, dieses Urteil der Geschichte zu revidieren? Es sieht nicht gut aus.

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