piwik no script img

Walzernd weht eine traurige Brise Europa herüber

■ Musikalische Annäherung an Joseph Conrads Congo Diary am Monsun Theater

Joseph Conrads Klassiker Herz der Finsternis zeichnen mindes-tens zwei Dinge aus: Zum einen ist er die literarisch-autobiographische Kritik eines Zeitgenossen am kolonialen Rassismus in Afrika. Neben dieser realistischen Einschätzung der Zustände bildet das Buch aber gleichzeitig – absurderweise – ein Paradebeispiel für das Verhaftetsein im Exotismus.

Hauptfigur der Erzählung ist Kapitän Marlow. Mit einem klapprigen Kahn fährt er auf dem Kongo in unwegsame, für sein Empfinden gar prähistorische Gebiete. Die dort lebenden Menschen sind für ihn aufregende Wilde in einem Land „unverständlichen Wahnsinns“.

Conrad selbst unternahm 1890 eine Reise nach Afrika, wovon ein im nüchternen Stil gehaltetenes Kongo-Tagebuch zeugt. Über dieses Tagebuch stolperte vor etwa einem Jahr Hans Schneidermann, Musiker und Gründungsmitglied des Hamburger Orchesters Tuten & Blasen. Der Saxophonist begann sich für die Geschichte zu interessieren: „Ich finde es faszinierend, dass der da vor hundert Jahren hingereist ist und alles so klaren Auges beschreibt.“ Conrads Schilderungen von Landschaft und Fremdheitsgefühlen erinnern Schneidermann an eigene Reiseerfahrungen in Afrika - wenngleich er dort nicht explizit auf den Pfaden des Schriftstellers wandelte. Es entstand die Idee zu einem Hörstück, denn am meisten ist Schneidermann natürlich an der Musik gelegen.

Morgen feiert Congo Diary im Monsun Theater Premiere. Darin verwebt Schneidermann Conrads Beobachtungen, dessen Briefwechsel mit Verwandten und Herz der Finsternis selbst mit eigenen Kompositionen. „Aber kein abgehobenes Zeug“, ergänzt Schneidermann sofort – wie um jeglichen Verdacht im Keime zu ersticken. Sicher machen Jazz und Improvisation auch einen Teil aus. Doch Congo Diary bietet ein ganzes Spektrum von Genres: Je mehr sich Joseph Conrad – beziehungsweise sein literarisches Alter Ego – Marlow in den Weiten der afrikanischen Wildnis verliert, desto dschungelartiger und trommeldurchsetzter werden auch die Rhythmen. Bossanova dagegen untermalt Szenen kolonialer Langeweile und Warterei. Mit den Briefen des vorwurfsvoll-besorgten Onkels weht dann wieder in Form trauriger Walzer eine Brise Europa herüber.

Aber auch wenn die Literatur viel Raum einnimmt, fällt der Abend doch eher unter die Kategorie „Konzert“. Denn während Schneidermann die unterschiedlichen Texte liest und nur hin und wieder sein Saxophon zückt, begleitet ihn ein fünfköpfiges Ensemble professioneller Musiker. Die Musik nach den Sätzen versteht der Komponist als „Ausrufezeichen“, das aber längst nicht alles erklärt: „Über dem Geräusch soll ein Geheimnis drüberbleiben“, hat er sich vielmehr vorgenommen.

Liv Heidbüchel

Premiere: Freitag, 22.6., 22 Uhr, weitere Vorstellungen: Samstag und Sonntag, 20 Uhr, Monsun Theater

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen