: Ein ganzes Leben im Karteikasten
taz-Serie „Schrille Läden“ (Teil 1): Im „Elfenbein“ in Mitte gibt es Schubladen, so weit das Auge reicht. Die Firma verkauft ihren Kunden die Ordnung, mit der sie ihr Leben schnell wieder in den Griff kriegen können. Schon seit mehr als 130 Jahren
von KIRSTEN KÜPPERS
Ein Menschenleben wird von sehr viel Material beschwert. Die großen und kleinen Beweise der Existenz begleiten alle Tage. Aber wo soll man hin mit den unzähligen Fußballbildchen, Briefen vom Nachbarn, Gaststättenrechnungen, Lieblingsliedern, Lotteriescheinen und den Muscheln vom Strand? Fest steht nur, diese Belege brauchen ein Zuhause. Denn wer sie nicht achtet, hat schon mit Sicherheit verloren. Vor dem Finanzamt, und vor der eigenen Erinnerung sowieso. Schließlich ist diese Sammlung das, was von einem übrig bleibt jedes Jahr und nach dem Tod. Und weil es in diesem Sinnzusammenhang keine Rettung gibt, beginnt die Suche nach dem richtigen Leben nicht selten mit der Suche nach dem richtigen Ordnungssystem. Denn das Durcheinander wächst mit jeder Stunde weiter. Und die Zahl derer, die darin versinken.
Das hatte auch der Berliner Fabrikant F. Findteisen im Jahre 1870 erkannt. In einer Zeit, in der die Glühbirne noch nicht erfunden war, beschloss er, mehr Übersichtlichkeit in das Leben der Menschen zu bringen. Findteisen gründete ein Unternehmen zur Produktion handgefertigter Kartei-, Strumpf-, Hemd-, Knopf- und Krawattenkästen. Und weil seine Kartonagenfabrik „Elfenbein“ so hübsche, robuste und nützliche Produkte herstellte, lautete ihr Werbeslogan: „Stark und langlebig wie ein Elefant, so schön und wertvoll wie Elfenbein“.
Auch nach 131 Jahren verkauft die Firma Elfenbein ihren Kunden weiterhin die Ordnung, mit der sie ihr Leben wieder in den Griff kriegen können. Die Waren werden wie eh und je nur aus den Naturstoffen Pappe, Leinen und Knochenleim gefertigt. Die Palette der Aufbewahrungsbehältnisse reicht von Schubladen, Mappen und Formularkästen bis hin zu Alben, Kladden und einfachen Kartons. Ein ganzer Ladenraum voller Einteilungs- und Disziplinierungsmöglichkeiten steht dort also in Berlin-Mitte bereit. Das schafft spontanen Seelentrost. Denn hier kann man sich augenscheinlich freikaufen aus der Wildnis der Wohnungskatastrophen, überfüllten Plastiktüten und unaufgeräumten Schreibtische. Und befindet sich dabei noch in guter Gesellschaft. Denn viele Berliner Museen, Bibliotheken und Universitäten beziehen ebenso seit vielen Jahren die Ordnungssysteme von Elfenbein. Neukunden verleiht der Blick auf die Fülle der Produkte außerdem das entlastende Gefühl, dass noch viel Platz ist für das Dasein in den Schubladen dieser Welt.
Elfenbein Ordnungssysteme, Rochstraße 3, 10178 Berlin-Mitte
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