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Blindflecken in der Laterna magica

Die belgische daad-Stipendiatin Ann Veronica Janssens hat für ihre Ausstellung „Light Games“ die Neue Nationalgalerie leer geräumt und silbern blitzende Fahrräder hineingestellt. Den Rest erledigt die abendlich untergehende Sonne: Selten hat sich Licht im Raum so lustig irisierend gebrochen

von HARALD FRICKE

Es ist merkwürdig, wie schnell sich ein Ort, ein Raum, ein Haus verändern kann. Früher war die Neue Nationalgalerie eine mit hohen Trennwänden voll gestellte Halle, die mit übergroßen Bildern aufwartete. Schon von weitem konnte man sehen, ob hier nun Baselitz, Twombly oder Newtons Nudes gezeigt wurden. Nun ist das oberhalb der Erde liegende Geschoss fast immer leer. Durch große Glasscheiben schaut man zur anderen Seite wieder hinaus, auf Skater, Bäume, Umfeld eben. Innen ist viel Platz für Licht, so wie bei Douglas Gordons zeitlupenhaften Videoprojektionen oder bei Jenny Holzers Science-Fiction-Schrift, die sich von Januar bis März in den Fenstern unendlich spiegelnd im Dunkel verlor.

Jetzt brennt es furchtbar in den Augen, das Licht. Gegen Abend steht die Sonne dafür am günstigsten. Kaum mehr als blinzelnd bewegt man sich dann durch den gleißend hellen Mies-van-der Rohe-Bau, der so sehr die Transparenz der Membran gewordenen Architektur betont, dass nicht allein der Besucher ins Haus, sondern die Wirklichkeit in den Betrachter eindringt – durch das Auge, als Blindflecken.

Dabei muss man vorsichtig sein, dass einen kein wilder Biker mit einem der Fahrräder überfährt, von denen ein paar zur freien Nutzung bereitstehen; oder dass man nicht mit einem anderen geblendet umherirrenden Gast kollidiert. Ohnehin schreckt man dauernd zurück, wenn wieder ein Lichtstrahl von einem der verstreut an den Säulen stehenden Spiegel durch den Raum blitzt, weil die Sonne sich gerade wieder einige Zentimeter schräg nach rechts unten verschoben hat. Das macht die Sache angenehm psychedelisch und lustig irisierend: In der Laterna-magica-Kammer sind jedenfalls alle gleich hilflos. Das ist eine schöne Erfahrung, sozial und wahrnehmungstechnisch betrachtet.

Ausgedacht hat sich diese „Light Games“ die belgische daad-Stipendiatin Ann Veronica Janssens. Sie ist Spezialistin für Skulpturen aus Licht und leerem Raum. 1999 hat sie in Venedig den belgischen Pavillon unter Nebel gesetzt, damit man zwischen lauter Gas aufmerksamer wurde für die Architektur des Gebäudes und für den Nachbarn. Und auch jetzt steht ein Container auf der Rückseite der Nationalgalerie, in dem man zwischen rot, gelb und blau mit Plastik verkleideten Wänden durch Trockeneisnebel torkelt. Wer will, kann sich die Installation auch als Zitat vorstellen: Casper David Friedrichs Mönch am Meer geht in die Barnett-Newman-Disko.

Solche Überlegungen geben dem Kunsthistoriker ein wenig Halt, der Rest irrt weiter. Denn die Projekte, die die 1956 geborene Janssens für die Nationalgalerie entwickelt hat, sind vor allem in der unmittelbaren Betrachtung angelegt. Schon am Eingang wird auf großen Fotobannern das Phänomen der Phosphene beschrieben, bei dem Farbmuster auf der Pupille tanzen, wenn man sich mit dem Finger die Augenlider fest zudrückt. Im Griechischen meint das Wort „Erscheinung“ und ist vielleicht noch mehr Geburt der Kunst auf der inneren Leinwand als Platons Gleichnis vom Spiel mit den Schatten an der Höhlenwand.

Bei Janssens wird das Staunen über Licht und Schatten durchaus in der Art einer Performance auf den ganzen Körper umgelegt: Die eigenen Bewegungen reagieren auf jeden wandelnden Sonnenstrahl. Man weicht aus, man taucht ein und man macht mit. Aber alles geschieht zufällig, jede Situation zieht eine Kette von anderen Reizen nach sich: Plötzlich ist schon wieder einer der Radler vorbeigesaust, während man sich auf der Flucht vor der Helligkeit weggeduckt hat. Mieke Bal hat diese verwackelten Zustände, die so sehr vom Sehvermögen abhängen, absolut treffend im Katalog nachgezeichnet: „Nein, die Dauer der Wahrnehmung war auch noch vom Rhythmus her ungleichmäßig, instabil, was ihre Linearität betraf, dicht und durchdringend in ihrer Wirkung und von ihrem Ort her schwankend: Mal stand sie auf der Seite des Subjekts – ich –, mal auf der Seite des Objekts – der instabile Anblick, den ich zu sehen begann. Doch andererseits verloren diese Begriffe – Subjekt, Objekt – und die Unterscheidung, die sie behaupten, ihrerseits ihre Grenzen, ihre abgegrenzte Identität. Sie wurden so vage und verschwommen wie Nebel.“

Was hier wie eine unglaublich verdichtete Theorie von Raum- und Körperempfinden klingt, bleibt bei Janssens leicht und schwerelos. Nie kippt der Minimalismus ins Esoterische um. Dafür ist man ihr dankbar, gerade am Abend, nach der Schicht.

Bis 5. 8., Di.–So. 10–18, Do. 10–22 Uhr, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50. Katalog 20 Mark.

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