piwik no script img

Entertainment-Implosion

Es hätte so schön werden können: Holger Friedrichs „Carmen Miranda Revue Pavillon“

Das Bild ist ein großes Versprechen. Eine dunkle Tänzerin wirbelt durch die Luft, in ihrem Blick dieses unwiderstehliche Es-gibt-hier-noch-ein-kleines-Geheimnis-Lächeln und unterm ihrem fliegenden Rock die bloßen Schenkel. Nackt bis oben hin. Wahrscheinlich jedenfalls. Mit Sicherheit ist das auf dieser Momentaufnahme nicht zu erkennen, aber das Auge des Betrachters bläst das Foto aus den Vierzigerjahren unweigerlich auf zu einem Film, spult eine Viertelsekunde zurück und – huh! – alles liegt offen. Carmen Miranda ist eine frühe Sharon Stone. Ein Blick und die basic instincts sind geweckt.

Holger Friedrich hatte die Aufnahme der brasilian bombshell Carmen Miranda lange Zeit in seiner Berliner Wohnung hängen, und irgendwann musste er einfach wissen, wer diese Frau war. So wurde das Ticket nach Rio gekauft. Die Reise in das glitzernd finstere Herz des Showbiz begann.

Carmen Miranda, hierzulande komplett unbekannt, war in Amerika ein Star. Ein Bilderbuch-Star: Die Verwaltungsangestellte aus Rio de Janeiro sang auf kleinen Festen, wurde prompt vom Radio engagiert und bekam 1928, 19-jährig, einen Plattenvertrag. Als sie elf Jahre später an den Broadway geholt wurde, hatte sie bereits unglaubliche 300 Singles aufgenommen. 1940 rief Hollywood, wo sie fortan alles, was wild, sexy und lateinamerikanisch war, verkörpern durfte. Zwar verloren die Nordamerikaner nach dem Krieg das Interesse am südamerikanischen Nachbarn und Miranda musste sich in Las Vegas durchschlagen – doch als sie 1955 einem Herzinfarkt erlag, soll ihr Leichnahm in Rio von einer Million Menschen zum Friedhof begleitet worden sein. Was ein Bild.

Mirandas Talent war ein Versprechen, ihre Extravaganz sowohl Futter als auch Fundus einer stets hungrigen und gleichzeitig Überfluss produzierenden Bilderindustrie. Bis heute, wie Holger Friedrichs am Donnerstag eröffneter „Carmen Miranda Revue Pavillon“ im Haus der Berliner Festspiele zeigt. Auch dieses Unternehmen ist ein großes Versprechen: Im momentanen Latino-Hype klingt die Ankündigung einer Samba-Revue über das Leben der „Bananas is my business“-Lady natürlich äußerst verlockend. Vor allem, wenn ein Regisseur wie Holger Friedrich sich um ihre Einrichtung kümmert, dessen Theaterinstallationen – wie zuletzt der temporäre Schlafsaal in den Sophiensälen – dem aufgeklärten Publikum stets eine hübsche Dekonstruktion des Phänomens mitzuliefern versprechen. Der „Revue Pavillon“, so die Ankündigung, sei dem 70er-Jahre-Bau des Carmen-Miranda-Museums in der künstlichen Flamingo-Bucht von Rio nachempfunden, die Friedrich an die Reißbrettstadt Brasilia denken ließ, deren 50er-Jahre-Utopie ihn wiederum an seine märkische Heimat Stalinstadt erinnerte. All das plus das neue Berlin und dazu eine Analyse des touristischen Blicks via Videodialog sollte in Wilmersdorf zur Disposition stehen.

37 KünstlerInnen auf der Bühne – darunter zehn Musiker, acht Samba-Tänzerinnen, Revue-Girls vom Friedrichstadtpalast und zwei weiße Königspudel – bildeten beste Voraussetzungen für eine echte Camp-Show. Und der Beginn der Vorstellung ist auch grandios: Eine Hand voll Künstler steht verloren unter einem riesigen papiernen Lüster von Louise Paramor. Einer spricht, einer singt, einer tanzt, einer schimpft, und wie sich alles so verläuft in der Weite der Bühne und Tiefe des Zuschauerraums, hat man das Gefühl, man blicke auf die letzte Showbühne der Welt. Ein Sciencefiction-Setting nach der finalen Entertainment-Implosion, wo eine Retromode namens Spaß inszeniert werden soll. Das will nicht klappen in der Einsamkeit der Bananenröckchen.

Leider aber gewinnt man zusehends das Gefühl, dass Holger Friedrich es doch ernst meint mit dieser Revue und der banalen Geschichte vom Berliner Kellner auf der Suche nach der brasilianischen Dancing Queen. So wird die Song-Tanz-Reihung immer tödlicher, trotz einer umwerfenden Ines Agnes Krautwurst in ihrem Zentrum. Der Tiefpunkt wird erreicht in einer Candomblé-Imitation, deren warmes Ethno-Folk-Gehabe geradezu frösteln macht. Sehr schade, das: Carmen Mirandas posthumer, bananengepflasterter Siegeszug durch die Clubs Europas wäre eine feine Sache.

CHRISTIANE KÜHL

Nächste Vorstellungen: 12.–14. 7., 20 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24, Wilmersdorf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen