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Im Zweikanalton erzählt

Demarkationslinien ausgelotet: Raul Zelik liest aus „Grenzgängerbeatz“ – heute im Buchladen im Schanzenviertel  ■ Von Lisa Scheide

Was erlebt ein hannoveranischer Zoo-Anwärter in einer surinamesischen Flughafen-Warteschleife und was eine südbalkanische Gemüsehändlerin, die sich mitleidig der unverkaufbaren Hehlerware eines Junkies annimmt? Wie ergeht es einem baskischen Choleriker bei seiner Auto-Suche in Valencia und wie einem allemanischen Warmduscher bei einem kolumbianischen Arbeiterkampf? Raul Zelik erzählt in seinem neusten Buch Grenzgängerbeatz von solchen Leuten und Begebenheiten. Nach seinem Debüt Friss und stirb trotzdem (1997) und dem darauf folgenden Roman La Negra (2000) hat Zelik jetzt elf Geschichten über Menschen veröffentlicht, die Demarkationslinien überschreiten.

Der gebürtige Münchner stellt in seinen Erzählungen angenehm menschliche und unheldische Figuren ins Rampenlicht – keine Heroen und Heroinen. Seine ProtagonistInnen reißen im falschen Moment den Mund auf und laufen im richtigen sehr schnell, sie langweilen oder ängstigen sich. Der Autor thematisiert das alltägliche Fremde respektive die fremde Alltäglichkeit.

Menschen mit gemischt-kultureller Identität kämpfen sich, beizeiten im wahrsten Sinne des Wortes, durch die Tücken des Lebens, beziehungsweise Menschen mit einfachem kulturellen Hintergrund durch die Tücken eines ungewohnten kulturellen Alltages. Entsprechend lesen sich Zeliks Geschichten, wie sich Fernsehfilme im Zweikanalton anhören. Unterstützend wirkt hierbei seine bildhafte Erzählweise: Zelik psychologisiert nicht, er visualisiert. Der Autor gibt den Figuren, Dingen und Umständen eine Form, eine Farbe oder einen Geruch, nicht ein inneres Wesen. Das macht seine Geschichten zu kleinen Filmen. Wer sich darauf einlässt, steht plötzlich in Managua und atmet den Staub. Die Verzweiflung eines Vagabundierenden oder gar Flüchtenden macht sich an der Fülle des Straßenstaubes fest, der seine Lungen verklebt.

So vollziehen sich wesentliche Veränderungen in Zeliks Geschichten auch äußerlich. Güls Initiation zur gesellschaftspolitischen Rebellion beispielsweise: „An einem der Hausaufgabennachmittage hörte sie die erste Public Enemy-Scheibe It Takes Millions to Hold Us Back, blickte kurz aus dem Fenster und wusste, dass von nun an alles anders sein würde. Es begann eine erstaunliche Metamorphose.“ Die vormals brave kurdische Berlinerin beginnt die Bomberjacken ihrer Brüder zu tragen, schlechte Laune zu kultivieren und Queen Latifah zu hören.

Der Autor dringt nicht in die Seelen seiner Figuren ein, er sondiert ihr Umfeld und Erscheinungsbild, aus dem sich dann die Charaktere ergeben. Die äußeren Zustände sind es, welche die inneren prägen. Aber natürlich geht es in diesem Buch, wie der Titel schon sagt, um das Überschreiten und Verschwimmen von Grenzen – und damit sind nicht nur die räumlichen gemeint.

Allerdings sind die Geschichten nicht in eine durchgängige literarische Form gegossen. Im Gegenteil, der saloppe Plauderton nährt manch müden stilistischen Wildwuchs. Dass Zeliks Buch in der Pop-Literatur-Lade landet, liegt an eben diesem Ton, aber auch an den popkulturellen Bezügen, die der Autor herstellt. „Als durchschnittlich gebildeter Jugendlicher hat man bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres mindestens 674 Filme gesehen, in denen einer Gruppe good guys von ziemlich fiesen bad folks ununterbrochen üble Hinterhalte gelegt werden, weitere 136 von Freunden erzählt bekommen, in denen die Bewohner abgelegener Ferienhäuser von Perversen massakriert werden. Dies ist sozusagen der Wissensfundus, aus dem man schöpfen kann, wenn man eine Vorstellung von einem möglichst miesen Tod haben will.“

Eine präzise Vorstellung vom Autor können Interessierte heute bekommen, wenn sie sich in der Buchhandlung Schulterblatt einfinden, um der Lesung des Autors beizuwohnen.  

heute, 20 Uhr, Buchladen Schanzenviertel, Schulterblatt 55; Raul Zelik: Grenzgängerbeatz, Verlag Libertäre Assoziation Hamburg 2001, 160 S., 29,80 Mark

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