piwik no script img

Das große Ding

Kein Anachronismus: Alejandro Sadermans Bankraubfilm Kleine Diebe, große Diebe diese Woche im 3001  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Überfiel eine Gruppe der Bewegung 2. Juni Anfang der 70er-Jahre eine Bank, konnte es vorkommen, dass sie an die überraschten Banckunden und Angestellte Schokoküsse verteilte. Es darf allerdings angenommen werden, dass die Beschenkten angesichts der Menge an Geld, das aus der Bank herausgeschafft werden sollte, wenig auf diese Sympathiebekundung der Räuber gegeben haben. Wie viel schöner wäre es gewesen, hätten die – ganz in Robin Hood-Manier – gleich die gesamte Beute unter den Anwesenden aufgeteilt.

Und dennoch: Ein geheimes Band hat von jeher Bankräuber, Bankkunden und mit einem erbärmlichen Gehalt ausgestattete Bankangestellte verbunden, denn das Bankwesen gilt als das räuberischste Geschäft im Kapitalismus (wie problematisch das ist, weil sich diese Auffassung leicht mit Antisemitismus verbindet, steht auf einem anderen Blatt). Nicht selten haben im Film die besten Bankräuber zuvor in Lohn und Brot eben der Bank gestanden, die sie dann ausraubten.

Jahrzehnte nach der Hochphase der big caper-Filme, nach Alec Guinnes, David Niven oder Steve McQueen, nimmt sich der venezuelanische Film Kleine Diebe, große Diebe, den das 3001-Kino nun zeigt, noch einmal des Themas an. Angesiedelt in der noch nicht lange zurückliegenden Bankenkrise von Venezuela, packt es der 1998 entstandene Film zudem von einer besonders brisanten Seite an.

Pedro Casals hat soeben seinen Job als Bankangestellter verloren, noch dazu seine wenigen Ersparnisse, denn wie viele andere ist sein Geldinstitut Pleite gegangen. Allerdings muss ihm erst auch noch das Auto gestohlen werden, damit bei ihm der Plan heranreift, es den Dieben seines Lebensunterhaltes heimzuzahlen. Mit vier Freunden, wie Pedro nahezu alle brave Familienväter, marschiert er in eine Bank, um die Geldsorgen ein für alle Mal zu beenden. Doch schnell platzt der Traum, denn: Der Tresorraum ist leer. Ein Überwachungsvideo beweist, dass es der Direktor höchstpersönlich in der Nacht vor dem Überfall hat herausschaffen lassen. Und noch dazu entdecken die fünf bald, dass von der Regierung zur Verfügung gestellte Notkredite in Millionenhöhe illegal auf Auslandskonten überwiesen worden sind.

Kleine Diebe, große Diebe wäre kein Bankraubfilm, würde nicht eine plötzlich entstandene und unvorhergesehene Situation erst die wahre Kreativität der Räuber he-rausfordern – eine Kreativität, die der von Arbeitern und Angestellten geforderten heute viel mehr ähnelt als zu Zeiten des Fordismus. Nicht zuletzt deshalb ist Alejandro Sadermans Film weit weniger anachro-nistisch, als man zunächst annehmen darf – und das Genre der big caper-Filme womöglich viel zu früh verabschiedet worden.

Da der Film in Venezuela entstanden ist, muss er sich zudem um die Gesetzmäßigkeiten Hollywoods nicht scheren, die besagen, die Bankräuber dürften am Ende nicht zu gut aussehen. Wie Jean Paul Belmondo 1985 in Der Boss (Hold Up) sind sie von Beginn an ausgemachte Sympathieträger. Ihre „Geiseln“ haben sie schnell auf ihrer Seite, als offenbar wird, dass der Direktor der Bank mit korrupten Regierungsbeamten unter einer Decke steckt. Als sich die Versammelten erst einmal mit der Hoffnungslosigkeit ihres Wunsches nach Reichtum vertraut gemacht haben, gewinnt der nach Gerechtigkeit die Oberhand: Neben einem Bus und einem Flugzeug, die sie außer Landes bringen sollen, fordern die nun x-mal Hereingelegten eine Pressekonferenz. Der Druck der Öffentlichkeit, so glauben sie, werde schon für die Abschaffung der unhaltbaren Zustände sorgen.

Kleine Diebe, große Diebe geht nicht so weit, diese Utopie Wirklichkeit werden zu lassen. Die Klippe des Kitsches hat er derart gerade noch einmal umschifft. Was darüber hinaus den Film zu einem besonderen Vergnügen macht, ist sein Zitatenreichtum.

Besonders Sydney Lumets 1975, im Fahrwasser von Anti-Vietnam-Protesten, Studentenprotesten und anderen sozialen Bewegungen enstandener Hundstage (Dog Day Afternoon) hat es Saderman angetan. Wie dort fürchten die Geiseln eher einen Tod durch Polizeikugeln als durch die Hand der Geiselnehmer. Wie dort sind auch die Bystanders vor der Bank auf der Seite der Bankräuber und können nur mühsam von der Polizei im Zaum gehalten werden. Wie dort lassen die Bankräuber das bisschen Geld, das sich in der eigentlich leeren Bank finden lässt, auf die Zuschauer he-rabregnen. Und sogar das schwule Coming Out des von Al Pacino gespielten Bankräubers erfährt in Kleine Diebe, große Diebe seine Wiederauflage. Aber ob Pedro und die anderen vier am Ende wie Al Pacino doch noch von der Polizei hereingelegt werden, das sei hier nicht verraten.

täglich, 20.30 Uhr, 3001

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen