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Party in der Hafenwüste

■ Gestern hat die Seemannsmission Stella Maris ihr neues „Clubmobil“ offiziell „in Dienst genommen“. Der Truck „Speedy II“ soll ein Ort des Lebens sein, wo sonst nur tote Hose wäre

Der Neustädter Hafen. Eine flirrende Ebene aus Sand und Asphalt. Von der Hafeneinfahrt, mit Zäunen, Zollgebäuden und Männern in grünen Uniformen gesichert wie ein Stück verbotenes Land, bis zu den Schuppen an den Hafenbecken dauert es 20 Minuten. Vorbei an Gras, das durch aufgebrochenen Beton sich drückt, an hohen Halmen mit lila Blüten, die schon vertrocknen, an Eisenbahngleisen, auf denen sich unendlich träge Waggons mit riesigen Eisenröhren vorwärts wälzen. Schuppen 20 säumt das Becken II an seiner südwestlichen Ecke. Ganz hinten, tief im Becken liegt die „Star Ikebana“. Von ferne mahlen sich die Maschinenlaute des Schlickbaggerschiffs durch die sirrende Luft. In dem schmalen Streifen Schatten, den das an den Boden gedrückte Gebäude auf die Erde wirft, da steht es.

Speedy II, elf Meter lang, ein „Clubmobil“. „Ein mobiles Seemannsheim“, sagt Franz Wellerding, „heute Abend machen wir hier Party, zapfen ein bisschen Haake-Beck“. Das sagt er zu einem Mann in roter Latzhose, der mit seinem Gabelstapler neben Wellerding gestoppt hat und den weißen Truck betrachtet, mit der Hand über das kühle Blech streicht. „Ich trink nicht im Dienst“, sagt er. „Wär mir neu“, sagt Wellerding.

Wellerding ist „Schiffsbesucher“. Für die katholische Seemannsmission „Stella maris“ kurvt er mit einem Roller durch die weitläufigen Hafenanlagen und besucht die Mannschaften an Bord. Speedy II ist fortan Wellerdings Basisstation, mobiles Sozialzentrum für alle die, die im Hafen bleiben müssen, die kein Geld für teure mitteleuropäische Städte haben oder die keine Zeit haben, 40 Minuten zur Busstation zu laufen, 20 Minuten in die Stadt zu fahren, das Ganze nochmal zurück, und das bei vier Stunden Aufenthalt.

Um Bier geht's bei Speedy aber am allerwenigsten. Gestern war Ausnahmetag, denn gestern wurde Speedy II – es gab vor langer Zeit mal einen Truck Speedy I – offiziell „in Dienst gestellt“. Speedy soll der kleine Mittelpunkt an Leben werden, wenn der Rest des Hafens tot ist. „Am Wochenende ist hier tote Hose“, sagt Wellerding. Er und sein Kollege Newton Gunarathne aus Sri Lanka, 20 Jahre zur See gefahren, sind dann Kneipe, Disko, Kaufhaus, Park, Sonnenbank, Amüsiermeile in einem. Und bieten kaum etwas von all diesen Reizen, sie bieten vor allem offene Ohren. Getränke gibt's, auch mal ein Bier, aber auch Shampoo oder Rasierwasser – was Männer auf See halt so brauchen.

In Speedys Innerem ist es kühl dank Klimaanlage. Fahrer- und Beifahrersitz sind umgedreht, bilden mit einer Bank entlang des Fensters und einem Sessel – sämtlich in gediegen grau – ein Wohnzimmer in winzig. Einzig ein schwarzes Kreuz mit blauem Stein neben dem „Micromat Duo“ in der Ecke über dem Gasherd erinnert an den kirchlichen Auftrag des Gefährts. Auftrag? „Weeß ick nich“, sagt Wellerding, „Newton sagt immer, Seemann ist Seemann.“ Da werde nicht gefragt: „'tschuldigung, katholisch?“ Wenn man lange Wochen von zu Hause weg sei wie die meis-ten der Seemänner, die in Bremen und den Häfen der Unterweser ankommen, „tut's ganz gut, wenn jemand da ist, der zuhört.“ Und das mehr denn je. Denn die Männer auf den Schiffen verdienen immer weniger, können es sich immer weniger leisten, die Städte zu besuchen, deren Häfen sie anlaufen, könnten sich auch gar nicht verständlich machen. Also bleiben sie an Bord, die ganze Zeit – zwischen Blech, Weserwasser und dem Geruch von Maschinenöl.

„Jeden Tag dieselben Gesichter, und man weiß auch schon, was einer gleich sagt, wenn er den Mund verzieht. Ein fremdes Gesicht ist immer willkommen.“ Das erklärt Prälat Johannes Bieler. Er ist selbst lange zur See gefahren, jetzt ist er als Bremer Seemannspastor in den Häfen unterwegs – während Gunarathne und Wellerding die Basisstation jeweils dort bilden, wo Dampfer gerade Station machen, oder ganz regelmäßig am Wochenende im Neustädter Hafen stehen.

Die beiden Männer sind mit Speedy völlig autark. Solartechnik auf dem Dach, Notstromaggregat, Wasser- und große Abwassertanks machen das Clubmobil zum Ort der Sicherheit in der Stahl-, Staub- und Wasserwüste des Hafens. Eine halbe Million Mark hat das Missionsmobil gekostet, bezahlt von der Internationalen Transportarbeiter Gewerkschaft (ITF). Nicht gänzlich uneigennützig, vermutet Schiffsbesucher Wellerding. Denn Gewerkschaftsleute würden oft des Schiffs verwiesen, erführen wenig über die tatsächlichen Arbeitsbedingungen und die Höhe der Heuer. Die Chris-tenmänner hören da manchmal mehr, und ab und an geben sie der Gewerkschaft auch mal einen Hinweis.

Vor allem Russen und Ukrainer arbeiten auf den Schiffen, aber auch sehr viele Filipinos. Zehn Monate dauern ihre Verträge, zehn Monate kommen sie nicht nach Hause. Wenn ihre Verträge verlängert werden, gar 20 Monate. „Die meisten klagen nicht viel“, hat Bieler gelernt, „aber sie erzählen ein biss-chen.“

„So 'ne Melancholie, eine gewisse Art der Einsamkeit“ bringt das Seemannsleben mit sich, weiß Wellerding und schaut auf den sandigen Asphalt. In der Ferne passiert ein kleines Boot voller Touristen, leuchtende Punkte in orange und grün auf dem Oberdeck, den blauen Rumpf der „Star Ikebana“. „Die Männer sind unheimlich dankbar“, sagt Franz Wellerding, „wenn mal jemand kommt, der einfach nur nett ist.“ Susanne Gieffers

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