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Du sollst dich nicht durchschauen lassen!

Links ist dort, wo das Grübeln anfängt: Hans Christian Danys Sammlung von Essays, Kunstkritiken und Erzählungen aus dem Arbeitsleben in der IT-Branche. Was zählt, ist das Festhalten am unentwegten Wandel der Selbstentwürfe

Ein nackter Mann stapft leicht vornübergebückt ins Meer. Das etwas verwischte Urlaubsfoto stammt von der Künstlerin Elke aus dem Moore und muss ein Lieblingsbild von Hans Christian Dany sein. Warum sonst hätte er die Badeszene auf das Cover seiner Textsammlung setzen sollen, die von „Bewegung, Technik, Ökonomie, Sex, Identität, Kunst, Zukunft und Arbeit“ handelt? Auch der Titel des Buches führt in eine Schräglage: „Auf dem Weg zu einem Umweg“, das könnten Tocotronic singen, aus Argwohn gegenüber einer allzu deutlichen Programmatik. Denn links ist für Dany dort, wo das Grübeln anfängt.

Da ist zum Beispiel der Umgang mit Mailboxen. Anfang der Neunzigerjahre noch von einer elektronischen Gegenöffentlichkeit genutzt, wurde das Netz, so Dany, spätestens 1993 von Neonazis für die Konsolidierung eines rechten Underground genutzt. Seither laufen wilde Gerüchte und Verschwörungstheorien umher, über einen Nazi-Durchmarsch auf dem Datenweg. Dany ist diesem Mythos 1995 für seinen Artikel „Kanther liest Baudrillard“ in der Kulturzeitschrift Beute nachgegangen. Er kommt zu dem Ergebnis: Das rechte Netzwerk half vor allem dem Innenministerium bei der Kriminalisierung digitaler Kommunikationsformen. Die Angst vor den Internet-Nazis führte zu einer Aufweichung des Fernmeldegeheimnisses, die 1994 im Bundestag beschlossen wurde – auch weil Spiegel und Focus in Anti-Mailbox-Kampagnen das Thema aufgegriffen hatten.

Parallel zur Diskussion über Zensur im Netz wiederum bauten große Konzerne ihren Onlinesektor aus. Diese beiden Entwicklungen schließt Dany in seinem Aufsatz miteinander kurz: „Für die Umwandlung der Netzwerke vom Medium der Gegenöffentlichkeit zum Datenautobahn-Markt der Zukunft kam das immer noch taktierende ‚Thule‘ als diskreditierendes Argument gegen die Mailbox-Netze wie gerufen.“ Voilà, schon greifen Ökonomie, Technik und Zukunft ineinander. Vielleicht ist sogar etwas Kunst mit im Spiel, wenn man den Boom der Multimedia-Aktivitäten Mitte der Neunzigerjahre bedenkt.

Hans Christian Dany mag solche Verwirrungen der Kontexte, die beim Lesen Knoten bilden. Was immer er an Zusammenhängen als möglich ansieht, wird in die knapp zwei Dutzend Texte – Essays, Kunstkritiken und Erzählungen aus dem Arbeitsleben in der IT-Branche – mit eingeschmolzen.

Die hybride Form dieses Schreibens, das selbst vor Krimipersiflagen nicht zurückschreckt, ist Absicht: Nur in der Vermischung von Literatur, Kritik und Theorie ist die überaus differenzierte Gegenwart abbildbar. Mal führt er die Identitätswechsel bei Chatroom-Usern mit psychoanalytischen Fallstudien über Kreuz, mal leitet er aus den Anzeigen für Herbstmode neue Trends bei der Photoshop-Bildbearbeitung ab.

Dany ist ein aufmerksamer Leser von Alltagskultur: In der überinszenierten Kollektion von Dolce & Gabbana erkennt er bereits 1997 das aufkommende Achtzigerjahre-Revival – als Rückkehr zu Zeichen, die nur auf sich selbst verweisen.

Dabei geht es immer auch um den Spaß hinter der Ernsthaftigkeit im Denken, um eine Art Ironie zweiter Ordnung. So klar wie möglich Fakten beschreiben – und zugleich ihre Anschlussfähigkeit in Frage stellen, auf dieses paradoxe Konsensmodell steuern die meisten Texte Danys zu. Dann wird der Wunsch nach mehr Politglamour ausgerechnet mit einem Zitat aus Balthasar Gracians „Der Held“ grundiert: „Dass alle dich kennen, aber niemand dich durchschaue. Mit diesem Kunstgriff wird das Mäßige viel, das Viele unendlich und das Unendliche noch mehr scheinen.“ Prompt leitet Dany aus den Unterweisungen des Paters aus dem 17. Jahrhundert ein Modell für minoritäre Bewegungen ab, das politischer Gruppenbildung von heute fehlt. Statt auf unendlich zersplitternde Abweichungen zu setzen, fordern auch sie seiner Meinung nach nur eindeutige Bekenntnisse. Wo aber das Geheimnis fehlt, geht auch die Begeisterung für die Sache verloren.

Dagegen hält Dany am unentwegten Wandel der Selbstentwürfe und -erfindungen fest: Einige Texte sind aus der Perspektive einer Frau geschrieben, andere im Kollektiv mit Gastautorinnen wie Christine Lemke oder Ariane Müller. Alles richtet sich gegen die Verwertungslogik der Neuen Ökonomie, in der jedes Spiel sich „zur Lebensform Arbeit“ verhärtet. So ist es der Kunst zwischen Club und Internet ergangen: Professionalisierung im Zeichen des Marktes.

Damit er selbst nicht in diese Falle tappt, sucht Dany nach Umwegen, auf denen er seinen Gegenstand wortreich umschleicht. Das macht ihn dem Dandy des späten 19. Jahrhunderts sehr ähnlich.

Man kann ihn sich gut vorstellen, wie er seufzend und missmutig am Computer seiner Arbeit nachgeht, die doch bloß Freiheit fördern will. Am Ende kommt auch wieder nur Text heraus, als Auftragsrezension für Texte zur Kunst oder als Trendbericht zur DJ-Culture im NZZ-Magazin. Danach geht er baden, im Meer. HARALD FRICKE

Hans Christian Dany: „Auf dem Wegzu einem Umweg“. Salon-Verlag,Köln 2001, 180 Seiten, 19,80 Mark.

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