: Klopstock war nichts dagegen
Was die Replacements, die Feelies, Velvet Underground, Television und andere Bands mit der New Yorker Newcomer-Band The Strokes zu tun haben und warum es zuweilen ganz schön egal ist, dass es alle neue, gute und interessante Rockmusik schon früher gegeben hat: Eine Rock ’n’ Roll-Erzählung
von GERRIT BARTELS
Es muss 1988 gewesen sein. Oder 1989. Genau wusste Brinkmann es nicht mehr, seine ersten Jahre in Berlin und die Zeit bis zum Mauerfall gerieten ihm immer etwas durcheinander. Damals kaufte er sich bei „City Music“ am Kurfürstendamm eine Platte der amerikanischen Band The Replacements, „Please To Meet Me“. Jürgen, ein alter Freund aus Göttingen, hatte ihm die empfohlen. Für Brinkmann war der Erwerb dieses Albums ein kleines Experiment, er bevorzugte Indiemusik aus England, Neuseeland oder Australien.
„Please To Meet Me“ aber war anders: Eine Art Rock ’n’ Roll, treibend und ausformuliert, eine Art Rockmusik, die klang, als sei sie aus einem Radioprogramm des Mittleren Westens geboren worden; Songs, gegen die auch ein Bruce Springsteen oder Mick Jagger nichts einzuwenden gehabt hätten. Brinkmann, der jede Art von Mainstream hasste, störten diese Assoziationen jedoch nicht: Er mochte das Album. Nur dass es in Memphis aufgenommen wurde, die Replacements stammten eigentlich aus Minneapolis, und ein Song „Alex Chilton“ hieß, irritierte ihn. Erst später erklärte ihm Jürgen, dass „Please To Meet Me“ eine Annäherung des Replacements-Masterminds Paul Westerberg an die Wurzeln des Rock ’n’ Roll sei.
An all das musste Brinkmann denken, als er an einem schönen Spätsommertag seinem Neffen Paul in einem Café in Schöneberg gegenübersaß und dieser ihm von einer Band namens The Strokes und ihrem Album „Is This It“ vorschwärmte: „Die musst du dir anhören, die klingt so unglaublich, die knackt dir alles weg.“ Brinkmann fiel wieder einmal auf, wie schwer es war, Hörerfahrungen in Worte zu fassen. Paul wich auch schnell aus, sprach von „typisch New York“, sagte, dass der Sohn von Albert Hammond bei den Strokes mitmachte, und nannte Namen wie Lou Reed, Television, Talking Heads. Das aber überraschte Brinkmann: Paul war Anfang zwanzig und mochte in der Regel nur Bands wie Crazytown, Limp Bizkit und Papa Roach, diese harte, nervöse Rockmusik eben, die Kids und Twens momentan so hörten. Sollte Paul sich plötzlich für anspruchsvollere Rockmusik interessieren? War er jetzt unter die Musikhistoriker gegangen?
„Du musst doch wenigstens schon etwas über die Strokes gelesen haben“, fragte ihn Paul schließlich leicht verzweifelt. Brinkmann hatte zwar aus alter Verbundenheit noch ein Abo der Spex, die aber stapelte sich meist ungelesen im Flur seiner Wohnung. Immerhin wusste er, dass die neue Spex den Schauspieler Vincent Gallo auf dem Cover hatte, nicht die Strokes. Paul kramte dann ein Magazin namens Intro aus seiner Tasche und zeigte ihm die Strokes-Story. Brinkmann war vor allem beeindruckt von dem Foto der Band: fünf junge Männer, nachlässig gekleidet, in Lederjacken, Jeans und Turnschuhen, mit halblangen Haaren. Der Chic von 2001 und der der Siebziger, das East Village, Minneapolis in den Achtzigern: Zeiten und Orte verschwammen und die Strokes sahen aus wie die jungen Replacements.
Nachdem Paul ihm noch kurz das Neueste von seinem Jurastudium erzählt hatte, verabschiedeten sie sich und Brinkmann ging um die Ecke in den Plattenladen „Mr. Dead & Mrs. Free“. Noch immer standen hier der stämmige Mr. Dead und sein ewig gleich jugendlich wirkender Kompagnon, noch immer gab es hier vor allem Pop aus England und Indiefolk aus den Staaten. DasCover des Strokes-Albums sah Brinkmann schon im Schaufenster, darauf zu sehen war eine in einem schwarzen Handschuh steckende Hand, die lasziv über ein weibliches Hinterteil streicht. Die Stones, Roxy Music, Blondie? Brinkmann ließ die Erinnerung wieder etwas im Stich: Wo hatte er dieses Cover schon gesehen?
Als er die Platte zu Hause auf seinem alten Technics-Plattenspieler abspielte, wunderte er sich erneut: Wie konnte eine junge Band im Jahr 2001 so eine Musik machen? Und warum begeisterte sich sein Neffe Paul dafür? Der erste Song, „Is This It“, war hübsch, aber old-fashioned und abgehangen. Der wollte und wollte nicht losgehen, die Band hielt ihn aber gut und genau in der Schwebe. „The Modern Age“ hatte etwas mehr Tempo und wie beim ersten Stück erinnerte ihn die Stimme des Sängers an Lou Reed. Der dritte Song hieß „Soma“ und quietschte und schepperte wie einst die Songs von Velvet Underground.
Als Brinkmanns Freundin Alexandra, eine große Verehrerin Iggy Pops, den Rest des Albums mithörte, sagte sie nur: „Stooges.“ Das „Klopstock!“, das Lotte ihrem Werther entgegenschleudert hatte, war nichts dagegen. Irgendwann aber waren Brinkmann diese ganzen Verweise völlig egal. Er hüpfte in seinem Zimmer hin und her, fühlte sich Paul sehr nahe und grölte schließlich unentwegt den Refrain des letzten Songs: „Take it or leave, take it or leave it . . .“ (und überschlug sich hier nicht die Stimme des Sängers wie einst die von Paul Westerberg?)
Am nächsten Tag auf Schicht erzählte Brinkmann seinem Kollegen Detering von den Strokes: „Die musst du dir anhören, die klingt so unglaublich, die knackt dir alles weg.“ Detering war der einzige von seinen Ärztekollegen des Klinikums Steglitz, mit dem er sich über Rockmusik unterhalten konnte, alle anderen interessierten sich ausschließlich für Golf, klassische Musik und Wohnungseinrichtungen. Detering war immer auf dem Laufenden: ein Ästhet und in Sachen Pop extrem verfeinert. „The Strokes“, sagte er, „ja, die habe ich mir gestern bei Saturn angehört. Ich verstehe den Hype nicht, ich sage nur: Feelies!“
Eine tolle Indieband aus den frühen Achtzigern, klar, an die hätte er auch denken können. Aber irgendwie passten die Feelies auch wieder nicht. Deterings wegwerfende Schlaumeierei ärgerte ihn. Er beneidete Paul und erinnerte sich, wie er seinerzeit selbst die frühen, unbedarften Punk-Platten der Replacements noch kaufte und gern hörte. Wer war schon Alex Chilton? Paul beschäftigte sich jetzt bestimmt mit Lou Reed oder den Stooges – die Strokes aber würden für ihn die Größten bleiben.
Ein paar Monate später kamen die Strokes nach Berlin. Brinkmann schaute sie sich an. Danach hörte er nie wieder was von der Band.
The Strokes: „Is This It“ (RCA/BMG)
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