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Brandneue Welt

Nach den Anschlägen von Dienstag wird gern und viel behauptet, dass die Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr existiert und auch wir selbst nie wieder die Gleichen wie vorher sein können. Doch sieht man sich um, lassen sich die Schalter zum Geschäft wie gewöhnlich ziemlich leicht umlegen

von GERRIT BARTELS

Es wird viel geredet, geschrieben und kommentiert in diesen Tagen – so wie immer also, nur dass sich diesmal alles um die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon dreht und die Frage, was danach kommt. Zwei Welten gibt es gerade: die Welt der Anschläge. Und die andere, die „wirkliche“ Welt, in der Leute eines natürlichen Todes sterben oder das Leben halt so weitergeht.

Was auffällt: Überall heißt es, die Welt wird nach diesem schwarzen Dienstag nie wieder dieselbe sein. Nicht nur die New Yorker Skyline wird nie wieder die gleiche sein, sondern auch wir nicht. Ist das so? Wird sich so viel verändern? Werden wir jetzt jederzeit im Bewusstsein des Terroranschlags unser Leben führen? Werden wir jetzt gar politischer? Werden wir jetzt bessere Menschen?

Erstaunlich ist allein schon, wie cool alle Zeitungen (nicht das Fernsehen, das bei Ereignissen wie diesen angenehm improvisiert und unperfekt rüberkommt) reagieren. Wie die Seiten voll sind mit allem, was mit den Anschlägen in Beziehung gesetzt werden kann und muss. Nicht nur vorne, überall: Literatur und Terror. Warum Hollywood. Was Rache und Vergeltung wieder für einen Platz. Die Lebenslüge der. Das Zittern der Börse. Wie das Internet. Warum wir.

Man ist erstaunt, wie professionell es zugeht, wo man doch damit beschäftigt ist, sich zu sammeln, Bilder zu verarbeiten, Bestürzung zuzulassen oder abzuwehren oder zu kanalisieren.

Die FAZ druckte auf ihrer ersten Seite des Donnerstagsfeuilletons eine Gedenktafel für die Mieter des World Trade Centers ab. Keine Menschen, sondern Firmen: Banco Sud Americano, Chase, Personal Financial Service, Capital Marketing Consulting Group usw. Im Gedenken an die Firmen, die am Dienstag ihren Standort verloren. Die Welt trauert. Der Mensch ist alles, was die Firma ist. Die FAZ ist eine Wirtschaftszeitung ist eine Wirtschaftszeitung. Auch im Feuilleton. So tickt die FAZ. So ist das Leben. Wie die Börse eben mit ihren Aufs und Abs: Viele Meldungen, die es am Dienstag neben den Katastrophenbildern gab, drehten sich um die Reaktion der Märkte, die Stimmung an der Börse uswusf. Ja, Beständigkeit ist jetzt wichtig: Unsere täglich Börsennews gebt uns heute!

Und die SZ lieferte eine Konzertkritik über ein Björk-Konzert am Dienstag in Stuttgart, ohne dass in dieser auch nur ein einziges Wort über den Crash in New York verloren wurde. Geht das? War das Konzert etwa am Montag? Haben sich in Stuttgart zehntausend Leute einfach so amüsiert?

Es geht. Man war ja selbst in den letzten beiden Tagen auf zwei Popkonzerten und fühlte sich seltsam, fragte sich: Ist das jetzt pietätlos, müsste man nicht daheim bleiben? Oder rückt man gerade auf Konzerten enger zusammen? Bei Radiohead wollte man direkte Reaktionen der Bands, da erwartete man, dass das alles kommuniziert wird. Bei Stereolab im Pfefferberg ging es schon wieder in Ordnung, dass die Bands nichts sagten (hätte auch nicht gut zu ihnen gepasst). Man quatschte dies und das, trank Bier und amüsierte sich – wieder zu Hause – noch köstlich über das Fernsehquartett und dessen „Siegreichhaftigkeit“ (eine Wortschöpfung von Rainald Goetz), und das trotz der eigenen Indifferenz. Überhaupt war diese Sendung der beste Beweis dafür, wie schnell die Schalter wieder umgelegt werden können: Erst kam das Fernsehen und der Terror, dann die Quizshows, noch unter dem Vorbehalt dessen, was passiert war, schließlich die Sendung „Herrchen gesucht“ (!), wirklich großartig!, und Beckmanns Talkshow. Ganz schnell ging das. The show must go on! Was hat die Formel 1 mit Amerika zu tun? (Bernie Ecclestone gestern auf RTL)

Die Show ging auch weiter nach, sagen wir, Tschernobyl. Auch Pilze haben wir bald wieder gegessen und gelacht über die Leute, die ihre „AKW – Nein danke“-Aufkleber auch in den Neunziger nicht abmachen wollten. Oder nach dem Golfkrieg 1991. Wie gebannt hat man doch auf den Fernseher gestarrt, als die USA die ersten Raketen auf den Irak abfeuerten. Sogar auf eine Demo gegen diesen Krieg ist man gegangen – ein allerletztes Mal noch.

Die Welt verändert sich jeden Tag, und nicht erst seit Dienstag tun sich Abgründe zwischen der westlichen und der religiös-fundamentalistischen Welt auf. Werden Terroristen nicht schon seit Jahrzehnten gejagt? Gibt es nicht unzählige, gut ausgestattete Sicherheitsdienste dafür? Es wird Vergeltungsschläge der USA geben, gegen wen genau, weiß keiner (man gut!), „chirurgische Operationen“ also wieder, man kennt das schon. Vielleicht wird man in den nächsten Tagen sensibilisiert sein, was Massenveranstaltungen anbetrifft, wird ein Gefühl der Unsicherheit mit sich herumtragen. Doch dann? Und immer weiter? Nein. Denn der ganze Scheiß auf vielen Kanälen muss doch gesendet werden. Und Fußball und Kultur muss es doch auch geben: Dem Feind die Stirn bieten heißt das, sich nicht einschüchtern lassen. Vielleicht wird man sogar intensiver spüren, was die Welt im Innersten zusammenhält, wie wichtig das ist mit den zwischenmenschlichen Beziehungen und alldem. Wie beruhigend wirkt es, dass anscheinend auch die Attentäter Abschiedsbriefe an Angehörige geschrieben haben. Und bald hat man sich wieder wegen Kleinigkeiten in der Wolle.

Die Bilder von Dienstag werden ins kollektive Gedächnis eingehen, sich irgendwann aber nicht mehr von denen aus Hollywood unterscheiden und verblassen. Die Erinnerung, das Vergessen und die Macht der Gewohnheit sind Geschwister, die sich gut verstehen. Was gut so ist. Und hat Giuliani nicht angekündigt, dass das World Trade Center wieder aufgebaut wird? Dann hat New York eine noch schönere Skyline als früher. Und heißt es nicht gerade, man solle Aktien kaufen? Und was mailt uns das WMF heute: „Hallo, noch ein Riesenwochenendtip für die beiden nächsten Tage. Freitag Exponence mit dem rappenden Wunderkind aus San Francisco, Goldchains, und viel Kölner Unterstützung. Samstag Benno Blomes Sender Records feiert Record Release Party“. Okay, brandneue Welt.

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