piwik no script img

die künstlersozialkasse schlägt zurück

von WIGLAF DROSTE

Am 19. September erfuhr ich, dass meine gute alte Künstlersozialkasse eine Geheimorganisation ist. Die KSK wurde in den letzten Jahren zu einer Spezialeinheit der Bundeswehr ausgebaut. Meine Sachbearbeiterinnen Frau Doyen und Frau Eden, die ich im verschlafenen Wilhelmshaven Gutes tun sah, schminken sich in Wahrheit mit Ruß und Tarnfarben, geben Auskunft nur in Vollvermummung, dürfen außerhalb der Langeoogstraße nicht über ihre Arbeit sprechen und organisieren den trostlosen Alltag von 400 Klassenstreberkillern, die sich in einem zivilisierten Leben nie wieder zurechtfinden werden.

„Wanted: Dead ore Alive“, titelt das Time Magazine mit dem Bild Ussama Bin Ladens. Das erste Opfer im Krieg ist nicht, wie gern behauptet wird, die Wahrheit – es ist der Verstand, sofern einer vorhanden war. Diese Gefahr besteht bei der B.Z., die den Steckbrief nachdruckte, allerdings nicht. Das tägliche Fachblatt für Blut, Kodder und kostenlose CDU-Werbung legte sich drei Tage lang auch ein DIN A2 großes Bild von Freiheitsstatue und Sternenbanner mit der Aufschrift „Berlin zeigt Flagge“ bei. Denn was Berlin sein will, das muss auch eine Fahne haben.

Berliner Hundebesitzer ergriffen ebenfalls die günstige Gelegenheit, auf dufte zu machen. Am 15. September hechelten sie samt ihren Kampfkötern, Dobermännern und anderen Exkrementeschleudern Fähnchen schwenkend durch den Bezirk Kreuzberg, eingewickelt in amerikanische Flaggen, wobei das bewährte Südstaaten-Lynchmob-Banner reichlich vertreten war, und bewiesen so aufs Neue, dass der Kampfhundbesitzer die Speerspitze jener weit verbreiteten Sorte Mensch ist, bei der das Gehirn sogar noch kleiner ist als die Kondomgröße.

So gesehen ist George W. Bush der Schutzpatron aller Kampfhundhalter. Der dumme Zwerg mit dem Fernsehgesicht kletterte auf einen rauchenden Leichenberg und sprach von „feigen Koyoten“, die „zur Strecke gebracht“ werden müssten. Das ist die Sprache einer Zivilisation, die erst im gelegentlichen Blutbad zu sich selbst findet. Zum Laden-Schluss gehört der Schulterschluss, das totalitäre „Wir“- und „Wir alle“-Gerede, das auch aus den kugelsicheren Vollgummigesichtern Gerhard Schröders und Otto Schilys herausdröhnt. Schily sieht sich am Ziel seiner kranken Träume von innerer Sicherheit und Zuwanderungsstopp. Eine nennenswerte Opposition gegen die unsittlichen Anträge des Kriegsprofiteurs Schily gibt es nicht, weil a) Deutschland seit 1989 ohnehin keine Opposition mehr kennt, sondern nur noch Deutsche, weil b) mancher fürchtet, nach rationalem Einspruch gegen gefühlsmäßige Zum-Krieg-Schreierei als Taliban-Bin-Laden-Luder hingehängt und behandelt zu werden, – und weil c) die Phrasen vom „Kampf der Kulturen“ und vom „Weltbürgerkrieg“ die zuvor gründlich ausgescheuerten und gleichgeschalteten Köpfe so angenehm widerstands- und restlos füllen. Denn erst nach dem Abschied vom Gehirn kann er richtig beginnen, der Endkampf von Gut – also: wir hier – gegen Böse – also: die da unten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen