piwik no script img

Call me eventuell Trigger

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Manchmal einem ganz und gar irrigen, weil romantischen zyklischen Geschichtsverständnis anhängend, wollte ich mir eine Lektion in Imperiumsuntergangskunde verpassen, las ein bisschen in Mommsens „Römische Geschichte“. Und fand anderes: „Da waren ferner die Popularen, die ehrlich bornierten Radikalen, die für die Schlagwörter des Parteiprogramms Vermögen und Leben einsetzten, um nach dem Sieg mit schmerzlichem Erstaunen zu erkennen, dass sie nicht für eine Sache, sondern für eine Phrase gefochten hatten.“

Wie üblich unsicher, ob meine Assoziation spinnert oder nicht sei, dass Mommsen nämlich vor über hundert Jahren bereits eine knappe Beschreibung geliefert hatte, wie die Partei der Grünen sich entwickeln würde, machte ich die Probe, indem ich zurechnungsfähigeren Menschen, als ich es bin, den Satz vorlas. Einhundert Prozent der Befragten stimmten mir zu, wenngleich – zugegeben – einer der drei mit etwas Nachhelfen.

Gut, der Einsatz von „Vermögen und Leben“ mag nur in Einzelfällen geleistet worden sein, viel wichtiger ist dieses „schmerzliche Erstaunen“, das wiederum möglicherweise nur von einem Teil ihrer Wählerschaft empfunden wird. Und nun zerreißt es die Grünen z. B. zwischen phrasenhaftem Pazifismus und phrasenhaftem Votum für den Einsatz, aber bitte mit Biowaffen. Womöglich habe ich den Ernst der Lage nicht begriffen. Wär schade, aber egal.

Damit ich so offen ungerecht werde, muss es spät abends sein, so spät, dass man früher Morgen dazu sagen kann. Vorher hatte ich live die letzten Takte vom „Tribute to Heroes“ ferngesehen. Im Schlussbild sang der verehrungswürdige Willie Nelson „America the Beautiful“, begleitet u. a. von seiner verschrammten Gitarre namens Trigger, was sich mit „Abzug“ oder „Zünder“ übersetzen lässt. Willie Nelson also, der einem entspannenden Joint niemals abgeneigt sein soll; hinter ihm Neil Young, dessen gepuderte Nase im Konzertfilm „The Last Waltz“ aufmerksamere Menschen, als ich es bin, bemerkt haben; etliche andere Stars, die, ähem, vermutlich entsprechende Erfahrungen vorweisen können.

Nun handelte es sich zwar nicht um eine Benefizveranstaltung für den „War against Terrorism“, sondern um eine Spendengala für die Hinterbliebenen. Dennoch fiel mir Reagans „War on Drugs“ ein. Ein ganz anderer Krieg, gewiss, den aber ähnliche rhetorische Figuren begleiteten. Ein Krieg, den bis heute niemand gewonnen hat (s. o.), weil die Sache erstens kompliziert ist, zweitens für etliche Beteiligte äußerst lukrativ und drittens mir gerade zu kompliziert wird, zumal jetzt neben dem Taliban noch der Schwarze Afghane dazukäme und der Opiumanbau, mit dem jene sich finanzieren sollen. Letztlich aber spricht alles für unsere offene Gesellschaft, in die das positive Denken zurückkehrt, wie vorgestern jene Patienten der Reha-Klinik für Atemwegserkrankungen auf einer Nordseeinsel bewiesen, die vorm Eingang standen und tüchtig an ihren Zigaretten sogen, mild beglänzt vom zarten Herbstlicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen