piwik no script img

Gesamtkunstwerk und Dosenbier

■ Gehört: Pop-Selbstinszenierer Phillip Boa und sein runderneuerter „Voodooclub“ im Docks

„Where's my ego?“, fragt er, als er die Bühne betritt, zuckt mit den Armen, wippt mit den Knien, verdreht den Kopf. Die momentane Version von Phillip Boas Musiker-Kollektiv Voodooclub legt los: Dreierreihe Gitarren, Keyboard-Trommler, Drummer, „I Dedicate My Soul To You“. Kraftvoll ist seine Band und rotzig, der große Herr des Independent will keine Minute verschenken. Wie ein mürrischer Theaterregisseur rennt er auf der Bühne auf und ab, fuchtelt, gibt den Takt und überhaupt alles. Es ist sein Gesamtkunstwerk hier auf der Bühne, daran lässt er keinen Zweifel. Der Glücksfall steht neben ihm am zweiten Mikro: Als seine aktuelle Sängerin Julia Chard verhindert war, sprang Alison Gadea von den Malteser Beangrowers ein. Sie hat eine fantastische Stimme, wie geschaffen für Boas hymnische Melodien. „Alison singt sehr, sehr schön“, sagt Boa. Stimmt. „And Than She Kissed Her“ ist wahrlich zuckersüß.

Überhaupt fällt auf, was für großartige Lieder der mittelalte Herr im dunklen Anzug in seiner 16-jährigen Karriere geschrieben hat. Unprätentiöse Melodien, die sich angenehm abheben von allem Bubble-Gum-Pop, aber auch nie in die pathosschwangeren Welten des (wieder erfolgreichen) Gothic abfallen. „You Send All My Letters“ etwa ist Zucker, einer seiner schönsten Popsongs. „Albert Is A Headbanger“ wird dagegen gerotzt, und natürlich fehlt das diffizile „Fine Art In Silver“ nicht. Gut machen sich alte Hits wie „This Is Michael“ neben neuem Material, etwa der jüngsten Single „Black Tiger“. „Container Love“ gibt es allerdings nicht. Dafür kleine Pöbeleien: „Probier mal'n Bier, am besten aus Dosen!“, raunzt er einen jungen Fan an. Ganz verhalten kommen dann die traditionellen „Arschloch!“-Rufe.

Natürlich ist er die Show, das Arschloch, der arrogante Selbstinszenierer. Wenn er gerade nicht singt oder – selten – die Gitarre spielt, stakst er über die Bretter, dirigiert, treibt sein Publikum an, baut mit den Händen Luftkästen um das Mikro, freut sich kindisch über bedeutungsschwangere Ges-ten. „Ihr müsst den Zustand der Langeweile total umdefinieren“, sagt er. Schließlich soll seine Musik ja Kunst sein, seine Texte Zitate, seine Bewegungen Posen. „Was kannst Du noch?“, kommt ein Ruf aus dem Publikum – „Alles!“ Man glaubt es ihm. Höchst erfolgreich hat er sich gehäutet. Entspannt und bei offensichtlich bester Laune spielt er sein Drei-Zugaben-Set. Boa strotzt vor Selbstvertrauen, reklamiert die Erste Liga für sich, die Stammzelle des deutschen Pop. Ein Konzert, das auf neue Alben und Tourneen wieder Lust macht. Und das war bei ihm nicht immer so.

Volker Peschel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen