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Keine Angst vorm Sensenmann

In diesen schweren Zeiten finden nicht nur Floristinnen Trost in der Philosophie

Machen wir uns nichts vor: Seit dem 11. September ist der Tod allgegenwärtig. „Heute Nacht habe ich geträumt, dass jemand umgebracht wird – und ich stand dabei und konnte es nicht verhindern . . . !“. Ich weiß nicht, ob und wer Ihnen solche Dinge erzählt, mir erzählte das gestern meine Blumenfrau. „Ich habe auch schon mal geträumt, dass ich fast sterbe, und das ist dann wirklich passiert . . .“, ergänzte sie dann beflissen, und ich stand dabei und bereute, dass ich noch nie eine Folge von „Akte X“ gesehen hatte. Dann hätte ich jetzt gewusst, welche Maßnahmen hier zu ergreifen sind. Stattdessen hörte ich mich sagen: „Ist mir auch schon passiert . . .“ Dabei habe ich noch nie von meinem eigenen Tod geträumt. Ich habe aber eine genaue Vorstellung davon, wie ich am liebsten sterben möchte. Im Moment des Ablebens möchte ich mich noch einmal kurz auf meinem Sterbebett erheben, leicht verwirrt in die Gegend blicken und dann sagen: „Ich habe das alles nicht verstanden.“ Anschließend sinke ich wieder in mein Bett zurück und verscheide ohne ein weiteres Wort. Der Rest ist Schweigen.

Ansonsten kann ich meiner Blumenfrau nur Recht geben: Man muss dem Tod direkt ins Auge blicken. Betrachtet man den Tod einmal unvoreingenommen, dann sehe ich folgende Vorteile: 1. Man muss nicht mehr abwaschen. 2. Man erlebt das Revival von Supertramp nicht mehr mit. 3. Die Blumen müssen ab jetzt die anderen kaufen. Nachteile sind, dass der Tod länger dauert als das Leben, dass man nachts, wenn man plötzlich Hunger hat, nicht mehr zur Tankstelle gehen kann, um sich eine Tiefkühlpizza zu holen, und dass man nie erfährt, wie „Akte X“ ausgeht.

Selbstverständlich lässt sich der Tod auch philosophisch betrachten. Wer denkt nicht sofort an so grundlegende Werke wie „Das Sein zum Tode – erklärt an Beispielen aus Rex-Guildo- und Gitte-Haenning-Filmen“ oder „Ferrari, Peter Struck und elektrischer Stuhl: Als was ich nicht wiedergeboren werden möchte . . .“, zwei von mir verfasste Seminararbeiten, die beide entscheidend zum viel zu frühen Ende meines gerade begonnenen Philosophiestudiums beitrugen. So viel konnte ich dann aber doch herausfinden: Philosophie meint, über einen Gegenstand zu reden, von dem man überhaupt nichts weiß, nicht mal, ob es ihn überhaupt gibt. Mit dem Tod ist es ähnlich: Über ihn können wir auch nichts wissen. Nur dass es ihn gibt, das ist ziemlich gewiss.

Betrachtet man das Thema theologisch, beschäftigt mich folgende Frage: Gibt es ein Lachen nach dem Tod? Und wenn ja, wer erzählt dann im Paradies die Witze? In meiner Gemeinde gibt es eine Pastorin, die auf Kinderfesten und auch sonst gern als Clown „Piccolo“ auftritt. Wenn Clown Piccolo auch im Jenseits die Witze erzählt, dann möchte ich nicht sterben. Niemals!

Überhaupt: Insgesamt kommt mir unser Leben manchmal vor wie ein von Gott in aller Ausführlichkeit erzählter Witz. Aber: Hat Gott überhaupt Humor? „Hallo, Gott, du hast da was auf deiner neuen Jacke!“ – „Wo?“ – „War nur ’n Scherz . . .“ – „Scherz, wieso Scherz? Habe ich nun einen Fleck auf meiner Jacke oder nicht . . .?“ – „Oh, mein Gott, wenn du doch nicht immer alles so ernst nehmen würdest.“

Ich denke, ich sollte doch noch mal die Leute von „Akte X“ aufsuchen. Vielleicht wissen die Genaueres. Oder ich gehe gleich zu meiner Blumenfrau – wenn sie noch lebt. JAN ULLRICH

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