: Die Kamera und der Mensch
Eine Filmreihe zum Sicherheitswahn heizt dem Dezember ein ■ Von Christiane Müller-Lobeck
Nicht nur das überwältigende Wahlergebnis der Schill-Partei – allein über das Thema Innere Sicherheit – in Hamburg, auch das Sicherheitspaket von Otto Schily lässt derzeit wieder so einige über Gegenmaßnahmen nachdenken. Die Diskussion in Schwung bringen will eine Reihe des B-Movie im Dezember. Mit Dokumentationen über Aktionen linker Gruppen gegen die Privatisierung des öffentlichen Raums, mit einigen Kurzfilmen, einem Spiel-, einem Essay- und einem experimentellen Montagefilm soll das Thema sondiert, wieder gestreut und ausgefranst werden.
Mit Alles muss raus!, vorgestellt von seinen RegisseurInnen Irene Bude und Olaf Sobczak, startet am 1. Dezember die Auseinandersetzung mit einer nüchternen Beschreibung des Istzustands. Der Film aus dem Jahr 1999 dokumentiert die Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen rund um den Hamburger Hauptbahnhof und die Techniken der Verdrängung von Junkies und Obdachlosen. „Wir können grundsätzlich alles beobachten“, bringt Günter Blümlein, der Geschäftsführer der euphemis-tisch „Betreuungsgesellschaft Hamburger Hauptbahnhof“ genannten Firma das Ergebnis der umfassenden Kontrolle darin auf den Punkt. Videoclips von MetroZone aus Berlin über alltägliche Überwachungstechnologien ergänzen den Abend.
Am kommenden Donnerstag stellt sich die Gruppe Urbane Panik der Diskussion, ob parodistische Aktionen dem vorherrschenden „Sicherheitswahn“ – so übrigens auch der Titel der Reihe des kleinen Kinos in der Brigittenstraße – noch etwas entgegen setzen können. Als Teilnehmende filmten Irene Bude und Olaf Sobczak im Februar dieses Jahres eine Aktion des Zusammenschlusses im Hamburger Hauptbahnhof: Um das Bedürfnis der PassantInnen nach Sicherheit und Ordnung zu eruieren, verkleidete sich Urbane Panik als Sicherheitsdienst und trieb die Fürsorge für die Gäste von DB und HVV auf die Spitze. Für die Gruppe selbst überraschend, wurde ihre Aktion von „echten“ Sicherheitskräften ausdrücklich begrüßt und stieß auch bei der „Zielgruppe“ kaum auf Irritation.
Zu deren „Sensibilisierung“ für absurde Zuspitzungen des Sicherheits- und Ordnungswahns dürfte diese Spaßguerilla also ebenso wenig beigetragen haben wie zahlreiche ähnliche Aktionen der letzten Zeit. Hanno Krieg wird am selben Abend mit seinem Film That's Reality über die Guardian Angels in Berlin zur Diskussion stellen, was Leute dazu bringt, freiwillig andere zu überwachen.
Francois Truffaut dystopischer Film Fahrenheit 451 aus dem Jahr 1966 über einen Polizeistaat, in dem Bücher verboten sind, folgt dem Abend mit der Gruppe Urbane Panik am Wochenende des 8. und 9. Dezember. Darin revoltiert der „Feuerwehrmann“ Montag (Oscar Werner), dessen Aufgabe es ist,aufgespürte Bücher zu verbrennen, gegen seine Arbeit. Der Science-Fiction-Kultfilm setzte seinerzeit noch auf einen als allgemein menschlich angenommenen Widerwillen gegen totale Kontrolle, auf welcher ihrer Seiten man auch steht.
Harun Farockis Essayfilm Gefängnisbilder dagegen tritt nochmal einen Schritt zurück. Offensichtlich inspiriert von den Fragen, die Michel Foucault an den panoptischen Blick von totalen Institutionen wie Gefängnis, Fabrik oder Kaserne gerichtet hat, sieht sich Farocki hier – ohne langatmig zu werden – ausgiebig modernen Knästen und ihre Überwachungsmethoden an. Im Zentrum steht dabei gerade die Produktion und Veränderung eines bestimmten Menschenbilds durch das Blickregime der Institution. Zugleich geht er der Spiegelung des Kontrollblicks der inzwischen beinahe allgegenwärtigen Überwachungskameras durch die Kamera der Filmenden selbst nach. Entlang zahlreicher his-torischer Filmausschnitte aus Dokumentationen oder Spielfilmen über Gefängnisse sucht Farocki eindringlich auch nach der Möglichkeit, den Kontrollblick zu unterlaufen.
Ein Abend mit dem Internetprojekt „aktuelle kamera“, das sich mit der Verbreitung von Überwachung in Bremen beschäftigt, ein Kurzfilme-Abend zum Thema und schließlich Helmut Costards und Jürgen Eberts Montagefilm Echtzeit (Realtime) aus den 80ern machen das Programm bis Weihnachten rund.
Alles muss raus! : Sa + So, 20.30 Uhr; Urbane Panik – Nichts ist mehr sicher + That's Reality (Gast: Hanno Krieg): Do, 6.12., 20.30 Uhr; Fahrenheit 451 : Sa, 8.12., 20.30 Uhr + 22.30 Uhr, So, 9.12., 20.30 Uhr; Gefängnisbilder : Do, 13.12. + So, 16.12., 20.30 Uhr; aktuelle kamera : Sa, 15.12., 20.30 Uhr; Kurzfilmprogramm Bildkontrolle : Di, 18.12; Echtzeit (Realtime) : Do, 20.12., Sa, 22.12. + So, 23.12, 20.30 Uhr, B-Movie
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