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Süßer die Schädel nie springen

Das Fest des Hasses: Beim rituellen „Death Metal“-Weihnachtskonzert in der Columbiahalle wurden in viereinhalb Stunden sämtliche Erwartungen an das Genre erfüllt und niemand von der stilistischen Bandbreite überfordert

Zwei Mal im Jahr, zu Weihnachten und zu Ostern, versammeln sich auch die Antichristen gerne zu blasphemischen Prozessionen auf der anderen Seite des Lichts. Und nicht nur im Kreise der Schwarzkittel, auch im Death Metal gehören vorweihnachtliche Zusammenrottungen bei grober Musik und hochprozentiger Dosenalkohilika immer noch zu den liebsten Traditionen. Doch im Vergleich zu den Festivitäten der romantizistischen „Goths“ ist so ein „Death Metal“-Konzert ein Schlag ins Gesicht eines jeden Geschmäcklers.

Kein Weihnachten ohne den rituellen Hass! Am vergangenen Montag hatte der Schallplattenfachhändler mit dem programmatischen Namen Folter Records zum weihnachtlichen Abschädeln gebeten. Nun gilt der Metaller ja gemeinhin als unglaublich engstirnig und lernunwillig. Ein böses Vorurteil! Der X-Mas-Clash bot ein breites musikalisches Spektrum von Death Metal über Death Thrash und Black/Death bis hin zu Black Metal in seiner reinsten Form – der nordischen nämlich – und überforderte in dieser Bandbreite niemanden.

Der Einstieg mit Dark Funeral, eigentlich bereits die dritte Band des Abends, fiel allerdings etwas schwer, weil der Sound leicht matschig ausfiel. Auf der Bühne rackerten sich ein paar Kiss-Klone sichtlich unbewegt mit ihrem Songmaterial ab, während die Tontechniker noch die schwierige Columbiahallen-Akustik in den Griff zu kriegen versuchten.

Bekanntlich sind Death-Metal-Konzerte eine ironiefreie Zone. Hier ist alles noch richtig authentisch: die Haare, die Posen, die Rituale. Vor mir geht ein Gitarrenjünger in die Hocke und lässt das Haupthaar kreisen (den Nacken ausrasiert, dann kreist’s sich besser). Je tiefer der Banger steht, desto größer sein Respekt. Denke ich mir mal so. Bei Nile, einem amerikanischen Brutalo-Vierer mit Hang zu symphonischen Arabesken, gehen dann alle in die Knie. Die getriggerte Double Bass pflügt wie eine Schallwaffe durch die Halle, in ihrem Windschatten gehen leicht zeitversetzt Bass und Gitarre ballistisch. Fassungslos starren wir in diese Wand aus weißem Rauschen. Vor mir eine Phalanx von stoischen Kampftänzern. Die unverschämten Bierpreise haben ihren Kopf klar gehalten, sie wirken diszipliniert.

Im Mosh Pit wird der Schwermetaller zum einsamsten Menschen auf diesem Planeten. Nur er und seine Matte. Eins werden mit dem Rhythmus. Der Nile-Sänger, ein kleiner kompakter Koffer wie der Schinkengott Glenn Danzig, gibt alles. Am Ende will man ihn kaum gehen lassen.

Marduk aus Schweden überzeugen vor allem durch ihr stilsicheres Bodypainting, beim Fan gibt so was Sympathiepunkte. Aber auch musikalisch zeigt sich die Crowd begeistert, was nur zeigt, dass der Metaller an sich ein schlichtes Gemüt ist. Jeder Schlüsselreiz wird im Publikum dankbar aufgenommen; Ansagen mit brunftartigem Grunzschreien kommentiert, gehörnte Fäuste kreuzen sich in der Luft zu satanischen Symbolen. ApoCalypso!

Mit Cannibal Corpse findet der Abend dann seinen Höhepunkt. Cannibal Corpse Comic Splatter-Death Metal hat ein Kritiker mal mt „Wenn Kotze ein Film wäre, wäre das der Soundtrack“ beschrieben. Was nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Schön ist das, was sie tun wirklich nicht, na ja, aber effektiv. Am Cannibal Corpse-Fan zeigt sich auch, dass alle Klischees vom Death-Metaller (Nieten, Leder, fettige Haare) veraltet sind. Studierte der Gerichtsmedizin scheinen ebenso zu ihren Anhängern zu gehören wie die wohl geratenen Töchter unserer Bildungseliten – auf der Suche nach schrillen Thrills. George Corpsegrinder-Fisher gibt dann wie üblich das asoziale Frontschwein, und das Publikum fällt dankbar in seine anale Phase zurück. Ein bleibender letzter Eindruck. Vielleicht auch der richtige Zeitpunkt zu gehen. Viereinhalb Stunden Death Metal am Stück müssen reichen. Zumindest bis Weihnachten. ANDREAS BUSCHE

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