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Don‘t Panik

Produktiv, wirklich produktiv, und mit dem richtigen Timing dazu: Benjamin von Stuckrad-Barre stellte sein neues Buch „Deutsches Theater“ mit einer „Premierenlesung“ im Deutschen Theater vor

Zwischen „Bunte“ und Michael Rutschky ist das Buch manchmal herber Klatsch, manchmal feine Inlandsethnographie

von GERRIT BARTELS

Da muss einer erst mal drauf kommen: Ein Buch „Deutsches Theater“ nennen, und dieses auch noch im Deutschen Theater vorstellen! Das ist großes Kino, wie man unter uns Rockern gern sagt. Nachdem er sein Arbeitsgerät ausgepackt hat – eine Flasche Wasser, CDs, sein neues Buch –, lässt es sich Benjamin von Stuckrad-Barre bei seiner Lesung im Deutschen Theater auch nicht nehmen, sofort darauf hinzuweisen, wie selten das doch sei, dass ein Veranstaltungsort und ein Buch denselben Namen tragen. Wie er das nun meint, ist schwer zu beurteilen, hoffentlich ironisch, und genauso hofft man, dass der Rest dieser „Premierenlesung“ mehr hergeben wird.

Was er dann auch tut, denn eine Stuckrad-Barre-Lesung ist eine Stuckrad-Barre-Lesung, also ein bisschen auch immer eine Show und eigentlich nie richtig langweilig. Ob ColumbiaFritz oder Deutsches Theater: Für Stuckrad-Barre macht das keinen Unterschied – Punkrock, Theater, neue deutsche Unterhaltung, Rockkultur, Hochkultur, alles schön miteinander verschränkt.

Sein Buch „Deutsches Theater“ wiederum ist eine Sammlung von Texten, die er zum allergrößten Teil schon in der Woche, der FAZ oder der Welt am Sonntag veröffentlicht hat; es ist das sechste Stuckrad-Barre-Buch innerhalb von vier Jahren, und es erscheint pünktlich am heutigen Donnerstag, an dem zum letzten Mal sein Lesezirkel auf MTV über die Bildschirme geht. Produktiv, dieser Mann, wirklich produktiv, und mit dem richtigen Timing dazu.

Da könnte man aber auch auf den Gedanken kommen, da verzettele sich einer, da habe einer Angst davor, mal ein, zwei Jahre nicht Teil der von ihm genauso geliebten wie kritisch beäugten Mediengesellschaft zu sein. Es scheint dennoch eher so, als habe Stuckrad-Barre mit diesem Buch sein bislang bestes Buch vorgelegt. Nicht nur, dass es schön was hermacht in seinem Großformat und die vielen Fotos aufs Beste die einzelnen Texte illustrieren; auch braucht man sich keinen Deut darum zu scheren, ob das nun Literatur ist oder nicht, ob das Pop-Literatur oder Teenie-Entertainment ist; nein, man könnte fast sagen, Stuckrad-Barre habe mit dem Buch sein reifstes Buch gemacht, ein Buch, mit dem er so richtig bei sich selbst ist: Austeilen und dabei eine Menge nicht nur über sich, sondern auch über die von ihm porträtierten Menschen, die Medienfiguren, erzählen. Und damit auch über das Land, in dem diese wer sind.

„Deutsches Theater“ positioniert sich irgendwo zwischen Bunte und Michael Rutschky, ist manchmal herber Klatsch, manchmal feine Inlandsethnographie; es handelt von Menschen, die einfach nur Menschen sind. Und es handelt noch mehr von Menschen, die irgendwie prominent oder eben richtig prominent sind. Und von deren Inszenierungen in der Öffentlichkeit, und davon, dass sie irgendwann das Private vom Öffentlichen gar nicht mehr trennen können und eigentlich von morgens bis spät in die Nacht Theater spielen.

Und so lässt Stuckrad-Barre sie an diesem Abend im Deutschen Theater mittels seiner Texte auftreten: Benjamin v. Stuckrad-Barre als Riesenpromotionhandy verkleidet im Berliner Olympiastadion bei einem Spiel von Hertha BSC; die Ex-MTV-Chefin und jetzige tm-3-Vorturnerin Christiane zu Salm als Hausbesitzerin in Berlin-Mitte; Günther Winter vom Einkaufsfernsehsender HOT, Hellmuth Karasek als Hellmuth Karasek kurz vor und kurz nach einer Literarischen-Quartett-Sendung, Benjamin v. Stuckrad-Barre in Paderborn vorm Euro-Zelt, als Hospitant bei Jürgen Gosch auf Sylt, mit Klaus Meine in Berlin, bei Manfred Krug zu Besuch: Deutschland im Jahr 2001.

Stuckrad-Barres Gäste an diesem Abend: die Autorin und Theaterregisseurin Anna Langhoff, die zwischen den einzelnen Texten aus einem Ratgeber für öffentliche Auftritte vorliest, einem Buch mit dem Titel „Don’t panic“ – was bemüht witzig wirkt und nicht wirklich gut funktioniert, bis auf ihren hübschen Versprecher „Don’t Panik“, den Stuckrad-Barre schön kommentiert mit „‚Don’t panic‘ heißt es bei uns im Westen“; dann Hellmuth Karasek, genau, jener Karasek, der in Stuckrad-Barres Text dauernd mit nassen Hosen zu kämpfen hat und auf einem dazugehörigen Foto einen reichlich derangierten Eindruck macht. Einen souveränen, geradezu würdevollen Auftritt absolviert Karasek, liest den Text über sich, erzählt zwischendrin eine Anekdote aus dem Literarischen Quartett, die von Taschentüchern und Onanie handelt, und verabschiedet sich dann wieder, und zwar unter Protest: Weil er es nämlich gar nicht gewesen sei, der das Gästebuch des Literaturhauses bekleckert habe. Und schließlich Rainald Goetz, den man schon oft bei Stuckrad-Barre-Auftritten hat mitmachen sehen und der zusammen mit Stuckrad-Barre das Stück über Klaus Meine am Gendarmenmarkt liest – wie immer eine Spur zu atemlos, eine Spur zu erregt, aber trotzdem gut.

Natürlich hat man einmal mehr das Gefühl, dass Stuckrad-Barre offene Türen einrennt und es sich ein paar Ideen zu einfach macht, wenn er sich Klaus Meine vornimmt oder Hellmuth Karasek, Klaus Löwitsch oder Franz-Josef Wagner, Christiane zu Salm oder Eberhard Diepgen. Andererseits: So gern arbeitet man sich an genau dieser Art von öffentlichen Personen nicht ab, schon gar nicht, so sie aus der Kultur kommen, an ihrer kultureller Produktion; und trotzdem sind leider genau sie es, die das Bild unserer Medienöffentlichkeit hauptsächlich bestimmen, die „Die Bevölkerung“, die deutsche, besser repräsentieren als, sagen wir, Thomas Kapielski, Jochen Distelmeyer, Daniel Pflumm oder Brezel Göring. Da ist es schön, wenn man jemand wie Stuckrad-Barre hat, der mittendrin lebt und schreibt, und dabei nur aufpassen muss, dass er nicht zu einer Art Hofnarr wird.

Vergleichsweise steif sei es gewesen, sagt später jemand bei der After-Show-Party in der Neuen Aktionsgalerie, die Rohfassung der anstehenden Lesetour halt. Doch eigentlich tut das einer Stuckrad-Barre-Lesung nur gut. Die Texte waren wichtiger als die Party, und man hatte das Gefühl, danach etwas besser den deutschen Befindlichkeiten auf ihren Grund schauen zu können. Theater hin, Theater her.

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