: Sprung in die Geschichte
Der Schwarzwälder Sven Hannawald springt erneut Schanzenrekord, gewinnt als erster Athlet alle vier Springen der Vierschanzentournee und wird somit endgültig zum sporthistorischen Überflieger
aus BischofshofenKATHRIN ZEILMANN
Die Journalisten im Pressezentrum von Bischofshofen waren ratlos. Sven Hannawald konnte das Kunststück vollbringen, als erster Mensch überhaupt alle vier Einzelspringen der Vierschanzentournee zu gewinnen; dass er die Tournee an sich gewinnen würde, daran hatte sowieso niemand mehr Zweifel. Aber irgendwie hatten die Medienvertreter schon in Innsbruck, als sie den jungen Schwarzwälder als „Überflieger“, „Superstar“ und „Held“, der „in den Himmel flog“, abfeierten, alle Superlative verbraucht.
Und so saßen sie einen Tag vor dem letzten Springen tüftelnd vor ihren Laptops, während das Objekt ihrer Berichterstatter-Begierde püntklich um die Mittagessenszeit und nach 133 Metern im Probedurchgang mit schwarzer Tasche und Bodyguard die Paul-Aussenleitner-Schanze verließ. RTL vermeldete diese Tatsache („Wir erfahren plötzlich, dass Sven Hannawald die Qualifikation auslässt“) genau zwei Stunden später – kurz bevor das neue Quotenzugpferd eigentlich zur Qualifikation in die kalte, klare Luft der Salzburger Berge hätte abheben sollen.
Ein nicht geringes Risiko war das für den Überflieger, weil es Hannawald im direkten K.-o.-Vergleich des ersten Durchgangs somit mit dem Finnen Matti Hautamäki zu tun bekam, am Vortag Qualifikationsbester geworden. Und doch auch Zeichen von Selbstbewusstsein und Überlegenheit des Deutschen, dass dieser sich auch gestern nicht erschüttern ließ: Kalt wie Hundeschnauze segelte Hannawald im ersten Durchgang auf 139 Meter, was Bestweite und Schanzenrekord zugleich bedeutete – und allerspätestens zu diesem Zeitpunkt die letzten Zweifel an seinem Gesamtsieg beseitigte. Nun ging es endgültig nur noch um Sportgeschichte, um den Grand-Slam des Skispringens, um den vierten Sieg im vierten Tourneebewerb – und somit um jenes Wunder, das in den 50 Jahren des Wettbewerbs noch keiner zustande gebracht hat. Jedenfalls bis gestern um kurz vor vier, jenem Zeitpunkt, zu dem Hannwald ein letztes Mal in die Spur sprang, den Anlauf hinunterraste, absprang vom Tisch – und erneut auf die unglaubliche Weite von 131,5 m segelte, insgesamt 282,2 Punkte sammelte und somit gewann vor dem Finnen Matti Hautamäki (280,4) und dem Österreicher Martin Höllwaarth (274,2); genau in der gleichen Reihenfolge endete auch die Gesamtwertung. Und ein bisschen in den Hintergrund geriet bei all dem Jubel, dass auch Martin Schmitt gestern mit Platz 5 ein respektables Ergebnis ablieferte und offensichtlich auf dem Weg der Besserung ist.
Die Schlagzeilen bei der diesjährigen Vierschanzentournee, der 50. überhaupt, aber schrieb von Anfang an nur einer, und so manch Neues war dabei zu erfahren über Sven Hannwald, den 27-jährigen Schwarzwälder. Dass es zwar eine neue Liebe (sie heißt Optojump und ist ein Gerät zur Absprungsimulation) in seinem Leben gibt, er sich aber heftigst dagegen wehrt, eine Freundin aus Fleisch und Blut zu haben. Dass sein Vater mit der Ratsche an der Schanze steht, seinen Filius ob seiner Sprünge schon mal als „Wildsau“ bezeichnet (live im ZDF) und Mutter Hannawald bei seinen Siegen regelmäßig in Tränen ausbricht. Außerdem ist es nicht unwesentlich zu wissen, dass viele Mädchen nicht mehr Martin, sondern jetzt Sven beschwärmen – und dass der neue Liebling, um erfolgreich zu sein und so geliebt zu werden, „einfach mein Zeugs“ gemacht hat.
Ein begabter Rhetoriker war Hannawald nie, vielmehr schlägt sich der gebürtige Sachse bisweilen im Schwarzwald-Dialekt („Des isch . . .“) durch. Und seine Komik finden auch nicht alle witzig. Aber wen interessiert das schon, jetzt, da er vermutlich als Millionär in die Schwarzwälder Wahlheimat zurückkehren wird? Und ganz und gar unwichtig ist auch, dass der 27-Jährige den Stress der Tournee, in denen er fast ganz alleine im Fokus der Öffentlichkeit stand, als „brutal“ empfand und sein Akku dabei „langsam leer“ wurde.
So viel Trubel um seine Person war Hannawald bisher nämlich nicht gewohnt, bisher hatte er ja immer Martin Schmitt vor sich. Doch der etatmäßige Schanzenliebling hatte schon bei den Weltcups zuvor geschwächelt, und so wird es Bundestrainer Reinhard Heß zufrieden zur Kenntnis genommen haben, dass sein einstiger Musterschüler bei der Tournee aufsteigende Form zeigte und zuletzt in Innsbruck wie nun auch in Bischofshofen gar Fünfter wurde.
Durchaus erfreuen dürfte Heß aber auch anderes, Georg Späth zum Beispiel. Dass ausgerechnet der schlaksige 20-Jährige aus Oberstdorf, der zum ersten Mal von Beginn des Winters an zur Weltcup-Mannschaft gehört, mit den Rängen 12 (Titisee-Neustadt), 9 (Oberstdorf) und 14 (Innsbruck) die interne Norm für die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Salt Lake City erfüllt hat, kommt durchaus etwas überraschend, auch für Späth selbst. Letztendlich aber sind all das nur Nebenerscheinungen der 50. Vierschanzentournee. In Erinnerung wird nur ein Name bleiben. Der von Sven Hannawald.
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