: Künstliche Holzwurmgänge
Antik oder maßgeschneidert: Gute Möbel müssen nicht unbedingt aus Großmutters Zeiten stammen ■ Von Gernot Knödler
Alte Möbel sind schön aber bisweilen unpraktisch. „Der Kleiderschrank von meiner Freundin zum Beispiel“, sagt der Tischler Stephan Ibelher aus Ottensen und legt los: Der Schrank habe links eine kurze Kleiderstange – viel zu kurz für den Umfang einer heutigen Damengarderobe – und rechts vier Böden bis zur Decke – nicht verstellbar und auch noch teilweise durch eine Eckleiste verdeckt, so dass sich schlecht auf die Wäsche zugreifen lässt. „Nicht ausbaufähig und nicht wandelbar“, konstatierte Ibelher. Aber seine Freundin hat ihn geliebt, ihren alten Schrank, also tauschte Ibelher sein Innenleben aus. Wozu ist man schließlich Tischler.
Wir wollen kein Plädoyer gegen alte Möbel halten, wohl aber den Versuch machen, einmal zu eruieren, ob es sich nicht lohnen könnte, schöne Möbel neu bauen zu lassen – maßgeschneidert für die eigenen Bedürfnisse und den eigenen Geschmack. Für Ibelher, der Möbel restauriert und mit handwerklichen Methoden neu baut, ist der Fall klar: Wem es auf die Nutzung ankomme, der sei mit modernen Möbeln besser beraten.
Moderne Schränke zum Beispiel bieten Möglichkeiten, von denen schlichte taz-Redakteure nur träumen können: Da gibt es Kleiderlifte, mit denen sich Jacken, Mäntel und Hosen durch Federunterstützung mühelos in die obersten Regionen des Schranks hieven lassen. Die unerreichbaren oberen Fächer, in denen sich bloß unnützer Krimskrams ansammelt, gehören der Vergangenheit an.
Stattdessen gibt es einen „Tab-larboden“, einen zweiten, ausziehbaren Schrankboden, eine Art Riesenschublade ohne Fächer, in der sich Hemden und Blusen übersichtlich stapeln lassen. Für den Kleinkram würde Ibelher außerdem Körbe und Schubladen einbauen, sowie einen Wäscheabwurfsack.
Doch Ibelher ist klar, dass die alten Sachen ihren eigenen Charme haben. „Man holt sich ein bisschen Geborgenheit ins Haus damit“, sagt er. In diesem Fall bleibt die Frage, ob eine Kopie oder ein antikisierender Nachbau aus der Ibelherschen Werkstatt nicht den gleichen Zweck erfüllte. Das Karstadt-Einrichtungshaus verkauft für das Gefühl, verwurzelt zu sein, sogar industriell gefertigte Kopien von Antikmöbeln mit künstlich applizierten Wurmlöchern und Gebrauchsspuren.
„Schnäppchen beim Trödler zu machen, ist fast unmöglich“, sagt der Tischler Marko Sikora aus Eimsbüttel. Auch er baut solche Stücke deshalb handwerklich nach. „Wenn ich ein altes Möbel aus Kiefer kopiere, dann liegt das in der Fertigung genauso günstig wie das aufgearbeitete alte“, kalkuliert er. Und dabei sei es neu und unbeschädigt. Sein Kollege Torsten Speer aus Uetersen kopiert auf Wunsch auch mit traditionellen Techniken. Beides ist jedoch so aufwändig, dass in vielen Fällen die Originale billiger sind. Wie das Preisverhältnis im Einzelfall aussieht, hängt vom Alter des Originals ab und auch davon, wie sorgfältig und stilecht es restauriert wird.
Nachbauten, so Speer, würden selten verlangt, in der Regel wenn die Kunden antik eingerichtet seien und ihnen einzelne Stücke fehlten. Kunden, die neue Möbel bauen ließen, seien sehr qualitätsbewusst und kommen Speers Erfahrung nach oft mit bestimmten Vorstellungen. Sie wollten „was zeitloses, modernes“. – Zukünftige Erbstücke, Jahrgang 2002.
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