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attacke auf geistesmensch von JÜRGEN ROTH

„Attacke auf Geistesmensch“ heißt eine geniale Bühnennummer von Gerhard Polt. Acht Metzger besuchen das Oktoberfest. Gegen Ende der „Gaudi“ drischt ihr Rottenführer einem Exemplar jenes „ausländischen Zeigls“, „des wo eim scho vom Ausland her die Plätze wegfaxt“, einen Maßkrug über den Kopf. Der schmächtige Mann, ein Nobelpreisträger, wie die Zeitungen hinterher berichten, erleidet einen Schädelbasisbruch. Die barbarische Schlachterverachtung für den anderen und den Intellekt erschüttert das nicht.

Günther Koch ist kein preisgekrönter Wissenschaftler, er ist Fußballradioreporter, laut vieler Menschen Meinung der beste. Auch ich darf mit aller gebotenen Eitelkeit behaupten, er sei ein Genie. Zwei von mir kompilierte CDs dokumentieren die intellektuelle Leistung des Mikrofonartisten, seine grandiosen Balanceakte zwischen rhetorischer Exaltation und sachlichem Engagement für das schöne Spiel Fußball.

Auf „Wir rufen Günther Koch!“ hört man ihn zum Beispiel die Partie Bayern München – VfB Stuttgart kommentieren, das legendäre 5:3 vom 28. Oktober 1995. Er bewundert Balakov, der „ballaballa“ die Gegner „ausgschwanzt hat“, und der sehr aktive Hobbyspieler freut sich mit dem Ballkünstler: „Das hat ihm Riesenspaß gemacht, und das gehört ja auch zum Fußballspiel.“ Genauso unverblümt beurteilt Koch die 3:0-Führung der Bayern, und um der eh aufregenden Reportage ein unerhörtes geistfeuriges Element hinzuzufügen, veranstaltet er unter Kollegen eine Spontanumfrage über die Berechtigung des Elfers für den FCB. Später, das zwischenzeitliche 3:3 fällt, jubiliert er: „Traumhafter Spitzenfußball von den Schwaben!“.

Letzten Samstag war Koch im Gottlieb-Daimler-Stadion. Vor ihm tobte ein soignierter, älterer Herr herum, eine „stolze schwäbische Fußballseele“ (SZ), die derart erregt war wegen der Stuttgarter Chancenlosigkeit, dass sie sich erhob und Koch, der die „abgeklärte, überlegene Spielweise“ der Bayern schilderte, anschrie: „Du Schafsseckel, hasch du eigentlich selber amol Fußball gschpielt?“

Koch nahm die nachfolgenden Pöbeleien des Promifans nicht recht wahr, aber kurz vor der Pause foulte Effenberg Balakov und bekam bloß Gelb. In der Halbzeitkonferenz auf Bayern 1 berichtete Koch von „Zuschauern“, die „sehr böse sind“, und also rief er den Mann zu sich und hielt ihm das Mikro hin: „Dann sagen Sie des doch bitte mal laut, was Sie da meinen.“ – „Ich sag’, dass Bayern wieder mit zwölf spielt, des muss i sagen, zwölf Mann.“ Koch, um Ausgleich bemüht: „Ist das nicht übertrieben, ist das nicht unfair, was Sie da behaupten?“ Dann, deutlich über den Äther zu hören: ein kräftiger Schlag. Ein Mann, eine Meinung, eine Watschen am Cannstatter Wasen. „Au! Jetzt haut er mir das Mikrofon an den Mund“, fiel Koch selbst diesmal nicht auf den Mund und ergänzte mit Schmerzen: „Das fand ich gar nicht nett.“

„Fußball“, jauchzte Günther Koch Ende Oktober 1995, „ist ein so tolles Spiel, da ist alles möglich.“ Alles, was in dieser Gesellschaft nötig ist, um auf der Haupttribüne zu landen.

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