: Käpt‘n Lapperstorch begrüßt Sie an Bord
Ready for take off: Wie ein kleines Kuscheltier einmal am Flugsimulator eine urkundlich belegt gute Figur machte
Die Laufschrift des Storchennews-Tickers kommt so wichtig daher, als hätten Nato-Truppen gerade Israel und Palästina besetzt. Dabei geht es auf www.storchenzug.de nur darum, wann welcher Storch in welchem Nest erwartet wird: „+ + + Prinzesschen macht sich wieder auf den Weg! Hat sie etwa von Jonas neuer Partnerin gehört? + + + Von Felix keine brauchbaren Koordinaten + + +“
Seit allzu optimistische Fernseh-Wettervorhersagen behaupten, dass der Winter nun endlich vorbei sei und überall der Frühling ausgerufen wird, sind die deutschen Medien voller Storchenberichte. Das Internet, die Zeitung, das Fernsehen vom „Morgenmagazin“ bis zum „ARD-Buffet“ – überall Störche. Kamerateams, die den Storchenflug begleiten; Satelliten-Sender auf dem Storchenrücken zur Positionsbestimmung via Internet; fest installierte Kameras an frisch hergerichteten Storchennestern: Wird Valinka in ihr altes Nest zurückkehren? Hat Jonas bereits mit seiner neuen Partnerin kopuliert?
Was ein, zwei Jahre zuvor noch als nächtlicher Pausenfüller im Dritten und auf nur einer Internetseite ganz nett war, ist ein wenig inflationär geworden. Und gefährlich: Seit kurzem hat sich ein kleiner Kuschelstorch in den Kopf gesetzt, es den Großen gleichzutun und ebenfalls den Winter im Süden zu verbringen. Dabei könnte es ihm gar nicht besser gehen, denn seit er während der letzten Fußball-WM plötzlich auftauchte, muss er keinen kalten Winter fürchten. Ständig wird er umhegt und gepflegt. Und auch in den Süden durfte er schon ein paar Mal fliegen – als Begleitung, an Bord eines Verkehrsflugzeugs. Doch nun will er selber los, offenbar hat er zu viel Internet geguckt.
Doch wie bringt man der ehemaligen Babywärmflasche Illi Lapperstorch das Fliegen bei? Wegen gewisser Handicaps wurden bereits die Anfangsbuchstaben seines Vor- und Zunamens weggelassen. Ihn einfach in die Luft werfen und hoffen, dass er fliegt? Das verschmutzt nur sein Federfell. Seine beiden Kumpel Bautzi und Moppel, die Linux-Pinguine, lachen sich was in den Frack. Aber Pinguine sind flugunfähig. Wenn es einer lernen kann, dann Illi Lapperstorch. Immerhin hat er schon mal auf einem Storchenfest im brandenburgischen Linum aus einem Rucksack hervorgelugt und gesehen, wie es geht. Fehlt nur noch das Grundwissen und ein bisschen Übung.
Was für angehende Piloten gut ist, kann für einen Kuschelstorch nicht falsch sein: Der Microsoft-Flugsimulator, natürlich gleich in der „Professionell Edition“. Die ganze Welt auf drei CDs, zigtausend Flugplätze, Städte, Länder, Kontinente. Dass die neue Version ein paar Monate später auf den Markt kam, weil in der Manhattan-Szenerie die Twin Towers entfernt werden mussten, interessiert Illi nicht: Er will in den Sudan, vielleicht findet er unterwegs ein paar Heuschrecken. Eine komplette Flugschule ist auch dabei, beginnen wir mit dem Grundkurs. Erste Lektion: Horizontaler Geradeausflug. Das ist nicht schwer, also setzen wir den kleinen Storch an den Joystick, lassen ihn die kleinste Cessna steuern – und machen ihn mit den grundlegenden Beziehungen zwischen Neigung, Leistung und Trimmung vertraut. Schließlich soll er bei möglichst geringem Energieverbrauch weite Strecken bewältigen. In Lektion zwei erfährt er, wie die horizontalen und vertikalen Auftriebskomponenten eingesetzt werden – was nichts anderes heißt, als Kurven zu fliegen. Dann wird’s schwierig: Um Steig- und Sinkflug zu meistern, muss er Längsneigung, Leistung und Trimmung im Griff haben. Zur Belohnung ist die nächste Lektion babyleicht: Der Storch lernt, wie er bei niedriger Geschwindigkeit sicher steuert, beispielsweise beim Landeanflug.
Die kurzfristig umbenannte Lektion „Anlauf nehmen und Abheben“ lässt ihn beinahe verzweifeln. Nicht weil er als Storch im Gegensatz zum Flugzeug keinen Anlauf braucht. Es liegt am Joystick: Der ist vom Typ „Force Feedback 2“ und lässt ihn virtuelle Kräfte spüren. Die Unebenheiten der Grasnarbe rütteln das Steuerhorn beim Start vom Sportflugplatz kräftig durch. Vielleicht wäre eine Asphaltpiste besser gewesen. Erst in letzter Sekunde konnte er den Joystick nach hinten und damit die Nase nach oben ziehen. Den kurz darauf gespürten Seitenwind hat er dann prima gemeistert: Illi ist ein Naturtalent!
Am Ende steht die Landung – und die kriegt er schon beim zweiten Versuch halbwegs hin. Zu seiner Überraschung spuckt der Drucker noch eine Urkunde aus: „Die Welt der Luftfahrt möge erfahren, dass Illi Lapperstorch den ersten Alleinflug erfolgreich absolviert hat.“ Dann kann’s ja losgehen. DIETER GRÖNLING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen