piwik no script img

strafplanet erde: schluchzen in fraktur von DIETRICH ZUR NEDDEN

Das Bild ist nicht sehr groß, es findet sich auf Seite 22 oben rechts: „Der unglückliche General Strategus ist am Ende seiner Kräfte“ steht in der Box. Dicke Tränen fallen, wenn ich mich richtig erinnere, parabolisch verwirbelt hinab, während General Strategus sich an einen Subalternen lehnt und sagt: „Sie sind alle so dumm, und ich bin ihr Chef! (schluchz)“.

Das erschütternd allgemein gültige Zitat aus „Asterix und die Goten“ (die reden übrigens ausschließlich Fraktur; na, wer sagt’s denn?) wird eventuell unser Kanzler seinem Gast aus den USA gegenüber heute benutzen wollen samt dem angehängten „schluchz“. Falls überhaupt der bundesrepublikanische Wahlkampf und die Erfolgsaussichten der Sozen auf der Tagesordnung stehen – unter „Verschiedenes“ möglicherweise, woraufhin aber Bush bloß antwortet: „Komisch, ich werde das Gefühl nicht los, dass es bei uns irgendwie umgekehrt ist“, und niemand weiß so ganz genau, was er eigentlich meint.

Apropos, umgekehrt wird ein Schuh draus. Im Protokoll nämlich wird dann zu lesen sein, Bush habe gesagt: „Der Vorteil der Klugheit ist, dass man sich auch dumm stellen kann. Umgekehrt ist das schon schwerer.“ Nach der Quelle dieses Bonmots sucht im Übrigen eine Mailingliste, der ich es selbstverständlich entnommen habe, seit einigen Wochen und scheint’s immer noch.

In der Zwischenzeit aber, quasi im Vorfeld und auf dem direkten Weg nach Europa besuchte seinerseits George W. Bush Brasilien, wo er im Gespräch mit dem Präsidenten staunte oder sich zumindest wunderte, dass es dort Schwarze gibt. Bevor er ins Grübeln geriet, woher die denn wohl kommen. Und während wir uns selbstgewiss zurücklehnen konnten – denn wir als Fußballvolk wissen ja Bescheid, Ze Roberto, Sergio und so weiter –, ließ Bush dem russischen Außenminister mitteilen, dass er sich auf seine Reise nach Moskau, wohin es ihn von Berlin aus zieht, mit der Lektüre von Dostojewskis Romanen vorbereite. „Schuld und Sühne“, das klingt ja nahezu wie „Law and Order“ und wird dem engagierten Todesurteilsunterzeichner besonders einleuchten, vor allem in der höchstens anderthalbseitigen Fassung, in der er, wie man hört, üblicherweise Schriftstücke vorgelegt bekommt. Zurück in Texas wird er abends am Lagerfeuer seinen Kumpels begeistert von diesem Typen Dusty Yesky erzählen.

Draußen und um Bush herum toben die üblichen Demonstrationen und Protestaktionen, in Bielefeld aber, ausgerechnet in Bielefeld konnte man vor nur vier Tagen der Uraufführung einer deutschen Revolution beiwohnen. Die „novemberszenen“ von Lothar Trolle fanden auf einer Theaterbühne statt, sind eine Dramatisierung von Döblins zweihundertseitigem Roman „November 1918“ und dauerten im Gegensatz zu Einar Schleefs sechsstündiger Fassung schlappe drei. Ein Chor, der von Kommentaren wie bei Aischylos oder Woody Allen bis zu Agitprop-Exaltationen so ziemlich alles bot, was man von einem Chor erhoffen kann – der und die klasse Schauspieler, es war schon gut. Und dann war Ende.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen