: Ein tüchtiger Star
aus Tallinn JAN FEDDERSEN
Der NDR hat keine Wünsche. Er hat Interessen. Die nach Quote vor allem. Und das heißt, er hat Interesse an einem deutschen Grand-Prix-Gewinner, der sich medial gut verkauft. Denn der NDR ist die TV-Anstalt, die in Deutschland für die ARD die besten Showquoten erzielt – und der europäische Popwettbewerb gehört zur festen Bank in Konkurrenz zu Jauch, Gottschalk & Co. Ein Glücksfall war Guildo Horn, ein Selbstgänger war auch Stefan Raab, Michelle und ihre Glückskleidanekdoten waren auch ideal, um dem Programm die nötige Aufmerksamkeit vor der ersten Sendeminute zu verschaffen. Aber Corinna May?
Schwer zu vermitteln, fürchtete man in Hamburg, als sie mit Ralph Siegels Komposition „I Can’t Live Without Music“ Ende Februar die deutsche Vorentscheidung gewann. 41,1 Prozent telefonierten für sie. Die Konkurrenz – schockiert. Joy Fleming, die Kelly Family, Nino de Angelo – seit Corinna May im Grunde abgemeldet. Nun war sie die deutsche Sängerin für Tallinn. Aber würde das gut gehen?
Ralph Siegel bot vom Marketing her auch keinen Trost. Skandale um Naddel, um Exfrauen und verschenkte Juwelen, gehässige Sprüche von Dieter Bohlen und Stefan Raab. Und überhaupt: Wer ist schon Ralph Siegel? Mr. Grand Prix im Komponistengeschäft, aber eigentlich ein Mann, der nervt und dem das entsprechende Publikum doch immer wieder vertraut. Corinna May aber hat nicht mal Naddel-Atmo zu bieten. Ohne Augenlicht. Eher staksig in den Bewegungen. Aber mit enormer Kraft, wenn auch nicht Schönheit in der Stimme. „Ich bin Bremerin und lass mich nicht verbiegen“, sagte sie angelegentlich eines Gesprächs über Glamour und Gunst der Showbranche. Das war schon ein herber Satz, denn eine Michelle hat sich für alles verbiegen lassen, nur um die Frau hinter Michelle, nämlich Tanja Hewer zu bleiben.
1999 kam Corinna May wie ein Phönix aus der Asche unter die Spots der Unterhaltungsszene. Da siegte sie mit dem Titel „Hör den Kindern einfach zu“ beim Grand-Prix-Vorentscheid – und galt als Sensation. Aber sie wurde disqualifiziert, weil ihr Song schon von einem anderen Künstler veröffentlicht worden war. Der Profiteur: Ralph Siegel. Und wie dem auch sei, in Jerusalem, wohin Corinna May damals trotz Relegation auf Einladung des NDRs reisen durfte, um mitzuerleben, wie Siegels Band Sürpriz Deutschland vertrat, lernten sie sich kennen: Siegel und May.
Im Jahr darauf hatte Siegel für sie ein Lied geschrieben, aber Stefan Raab war unbezwingbar. Dann befand die Plattenfirma Polydor, branchenüblich wenig zimperlich mit unverkäuflichen Künstlern, Corinna Mays Platten verkauften sich schlecht. Ein Schlag ins Gesicht der Corinna May, denn sie wollte doch eigentlich in die Spuren Céline Dions treten: Mit Hilfe des Grand Prix’ zur Weltkarriere: „Nein, mir reicht Deutschland nicht, ich finde amerikanische Musik viel besser“, sagte sie, und das war fast schon wieder sympathisch, denn Sängerinnen aus deutschen Landen pflegen sonst am liebsten keine Rosinen im Kopf zu haben.
Kein Plattenvertrag, kein übervoller Terminkalender – da schien eine Sängerin an ihren Ansprüchen zu scheitern. Aber da war ja noch Ralph Siegel. Der holte sie in seinen Stall, weil er die Stärke in der 31-jährigen Bremerin erkannte: Wenn es darauf ankommt, ist sie exzellent. Dann singt sie, dann sitzen die Bewegungen, dann ist sie präsent wie kaum eine andere am Mikro. „Im Training“, lacht sie laut, „bin ich nie gut. Ich muss wissen, dass es zählt.“
Dabei entspricht Mays diesjähriger Grand-Prix-Song wahrlich nicht ihren eigenen musikalischen Vorlieben. Die gehen mehr in Richtung Gospel und Blues, mehr „Amazing Grace“ also als „We Are Family“. Aber für einen Auftritt vor Millionenpublikum nimmt sie auch diesen kleinen stilistischen Missbrauch in Kauf: „Mir gefällt der Song von der ersten Minute.“ Als sie frisch bei Jupiter unter Vertrag stand, da ahnte sie: „Ich wusste, dass Ralph mich bald fragen würde, ob ich es noch mal versuchen würde.“ Und er fragte wirklich sehr eilig – und sie willigte sofort ein, so geht die Legende.
Jetzt zieht sie konsequent durch, was durchgezogen werden muss. Lehnte sie noch vor Monaten jede Homestory ab, den Wunsch von Radio Bremen beispielsweise, sie für seine Reihe „Höchstpersönlich“ zu porträtieren, so macht sie nun alles mit. Lässt ein Tagebuch in in ihrem Namen von der Bild-Zeitung verfassen, dass möglicherweise nett zu lesen, aber völlig frei erfunden ist – wenn auch autorisiert. Nimmt in Kauf, Partys zu besuchen, obwohl sie eigentlich gerne auch allein ist und Menschenmassen wie bei Empfängen meidet. Zumal sie sich dort der Zudringlichkeiten nicht erwehren kann, nicht der Küsse von bayerischen Grand-Prix-Klub-Präsidenten, nicht der Tätscheleien von Fans, nicht der Kameras, vor denen sie sich fürchtet, weil sie eben ihre Mimik nicht kontrollieren kann.
„Ich mache das mit“, sagt sie in ihrer barsch-pragmatischen Art, lacht dazu laut und heiser, „weil es mit dazugehört.“ Also die märchenhaft-wahren Storys über den Sex, den sie seit drei Jahren nicht hat; über die Fotos mit ihr in der eigenen Badewanne; mit allem, was ihr heilig ist, die Privatheit vor allem. Die hat sie jetzt in gewisser Hinsicht suspendiert, vielleicht auch, weil sie sich traut: In der Welt des Ralph Siegel ist sie bis jetzt noch nicht enttäuscht worden.
Gespräche mit ihr sind schwierig. Sie bleibt einsilbig, ist nicht kokett wie Michelle oder semisexy wie Claudia Jung oder immer für einen mütterlichen Spruch gut wie Joy Fleming. Corinna May will singen und lernt wohl erst langsam, dass zum Showgeschäft ein gehöriges Maß an Aufgabe der Privatsphäre gehört.
Das ist gewiss kein leichter Lernprozess als Kind einer Familie, die zu keinen weiteren Horizonten als Bremen-Ihlpohl zu ermutigen scheint. Urlaub auf dem Campingplatz, Freundschaften dort an der Weser, Grillen, im Garten sitzen, es gemütlich haben – das ist ihre Welt. Eine Fluchtstätte, in der sie sich in der oberen Etage des Eigenheims ein eigenes Nest eingerichtet hat, ohne dass ihre Eltern ständig Zutritt haben dürfen. Sie sagt: „Ich mag keine Allüren“, und die hat sie auch wirklich nicht. Aber sollte, wer ein echter Star sein will, nicht wenigstens ein paar Flecken im Erscheinungsbild aufweisen, die auch als Allüren zu begreifen wären?
Corinna gibt die Kumpelin, und das ist eigentlich für das Showbusiness nicht günstig. Sie ist keine Verführerin, keine Frau, der man gerne das Taschentuch aufheben möchte, wenn auch wissend, dass sie es eigens zum Aufheben fallen gelassen hat. Corinna May ist, so würde man es in Bremen sagen, tüchtig. Im Umgang etwas zu nahbar, aber doch distanziert und mit einem feinen Gespür für den falschen Ton: „Ich erkenne an der Stimme, ob jemand taugt oder nicht.“
Eine aus dem Hause Siegel sagt auf die Frage, weshalb beim Empfang Siegels für die deutsche Delegation in Tallinn Corinna keine beste Freundin an der Seite sitzen habe – nur ihren Manager Dirk Münchow, der ja ihr Liebhaber nicht ist, aber ihr Beschützer –: „Vielleicht ist Corinna nicht die Frau, die viele Freunde im engeren Sinne hat. Die ist sehr für sich, sehr in sich ruhend.“
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