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Slackerism begins at home

Von einer Leere in die nächste ziehen und dann auch noch zunehmend weniger sehen können: Mit „Blindfisch“ hat der junge US-amerikanische Autor Jim Knipfel einen Bericht aus dem Leben eines an Retinitis pigmentosa Erkrankten geschrieben

von GERRIT BARTELS

Der Einstieg führt in die Irre. Weil er selbst eine Vielzahl „O-Gott-ich-habe-eine-schreckliche-Krankheit“-Bücher gelesen hat, möchte Jim Knipfel zu Beginn seines Buchs „Blindfisch“ in aller Kürze gleich eines hinter sich bringen: die exakte Beschreibung seiner Krankheit, die seiner Meinung nach in besagten Büchern zu ungünstigsten Zeitpunkten den Erzählfluss ins Stocken bringe. Also schnell wegschaffen, was unumgänglich erscheint, um dann zum Wesentlichen zu kommen und frisch und frei eine „blöde kleine Geschichte“ erzählen zu können.

Jim Knipfel hat die unheilbare Augenkrankheit Retinitis pigmentosa, bei der sich langsam, aber sicher die Netzhaut von den Augen löst. Die Folgen sind Nachtblindheit, später ein eingeschränktes räumliches Sehen,und schließlich die vollständige Erblindung. Darüber hinaus leidet Knipfel an einer Läsion im mittleren Temporallappen, die sich in Form von Krampfanfällen und Bewusstseinsverlusten zeigt und Knipfel auch psychische Probleme in Form von Wahnwahrnehmungen und Depressionen bereitet.

Solcherart aufgeklärt über die körperlichen Leiden des jungen Knipfel, könnte man denken, Knipfel habe tatsächlich seinen Pflichtteil erledigt und würde nun mit „Blindfisch“ eine rasante Entwicklungsgeschichte aus dem Amerika der Achtziger- und Neunzigerjahre erzählen. Ein Irrtum. Denn dafür sind seine Erkrankungen zu schwer, als dass sie nicht entscheidende Auswirkungen auf die Entwicklung eines zumal jungen Menschen haben. Und dafür betont Knipfel zu oft, dass seine Lebensphilosophie des „Leckt-mich-alle-am-Arsch“ und des „Ist-doch-sowieso-alles-sinnlos“ gar nichts mit seiner Erkrankung zu tun hätte. Er streift also kurz seine Jugend in Green Bay, Wisconsin, und erzählt dann ausführlicher von Studienjahren in Madison und Lehrjahren in Minneapolis, Chicago und Philadelphia. Knipfel gründet an der Universität die nihilistische Arbeiterpartei und schreibt im Namen dieser Flugblätter, die Anleitungen zum billigen Bau einer Bombe geben. Er spielt in einer Punkband namens Pain Amplifiers, haust in den übelsten Baracken, säuft, studiert Philosophie und hält sich mit miesen Jobs und dem Spenden von Blut über Wasser. „Von einer Leere in die nächste ziehen“ nennt er sein unruhiges Leben einmal. Ein Pennerphilsoph, der ziellos herumstreunt und nicht viel mit sich anzufangen weiß. Ein Slacker, wie ihn auch ein Douglas Coupland oder ein Richard Linklater nicht besser hätten erfinden können.

Nur die romantischen, die lebensexperimentellen Seiten an dieser Figur, die gehen Jim Knipfel völlig ab, und auch für Design und Style hat er nicht viel übrig – ganz unten, nicht mehr ganz jung und dann noch krank in Amerika. Schon eher erinnert sein Lebensbericht an Rick Moodys Lost-Generation-Tristesse „Garden State“, an Charles Palaniuks Lehrstück „Der Simulant“, an Jonathan Lethems „Motherless Brooklyn“, ein Buch über einen Menschen mit Tourette-Syndrom, und natürlich an Dave Eggers’ Roadmovie „Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität“. Noch mehr Leben, noch mehr Gegenwärtigkeit, noch mehr Wut – das junge literarische Amerika strikes back.

Wie bei Dave Eggers ist Knipfels Zufluchtsort bei all der ihn umgebenden Tristesse das Schreiben: Es beginnt mit „Blindfish“-Kolumnen im Philadelphia-Blättchen Welcomat, wo er zuerst eine Konzertkritik über Iggy Pop schreibt, und später in der New Yorker Wochenzeitung New York Press; Geschichten darüber, wie „ich am Verhungern war und meine Tage als Häufchen Elend auf dem Fußboden verbrachte“. In New York, wo er schließlich landet, findet man ihn immerhin im Guggenheim-Museum als Aufseher wieder und später in der Telefonzentrale bei der New York Press. Knipfel hält zwar auch hier wieder voll auf die Abgründe des New Yorker Lebens und berichtet über seine Erlebnisse bevorzugt mit gestrandeten Metropolenexistenzen, zu denen auch er sich ohne Umschweife zählen würde. Es überwiegen jedoch nun die Schilderungen seiner Bemühungen um Hilfe durch Sozialeinrichtungen und Blindenhilfsorganisationen. Viel ist von sprechenden Weckern und pfeifenden Getränkescherzen die Rede, von Lesehilfen und Braille, von blöden Psychotherapeuten und Sozialarbeitern. Da ist er selbst nicht weit entfernt von den von ihm eingangs gedissten „Schreckliche-Krankheit-Geschichten“. Aller Zynismus und aller Sarkasmus helfen nicht: Auch er muss da durch. Manchmal wünscht man sich gerade gegen Ende des Buchs, dass die Lebenswirklichkeit von Jim Knipfel etwas weniger krass wäre.

Jim Knipfel: „Blindfisch“. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Rowohlt Reinbek, 286 Seiten, 19,90 €

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