: Der Untergang des Brathähnchens
Der Oberkellner Friedrich Jahn arbeitete sich mit seinem „Wienerwald“ in den 50er-Jahren zum Millionär empor – bis das Hendl-Reich an seinem Kontrollwahn zerbrach. Eine 4-teilige Doku-Reihe stellt geplatzte „Lebensträume“ vor (21.45 Uhr, ARD)
von CHRISTIAN BUSS
Wie riecht eigentlich das Wirtschaftswunder? Vielleicht nach Grillhähnchen? Ein tolles Gericht: Das Geflügel wird massenhaft am Spieß gegart, doch der Restaurantbesucher glaubt treuherzig, ihm werde eigens ein Braten zubereitet. Es gab Zeiten, da machten Bausparer einmal die Woche auf dicke Hose. An solchen Tagen blieb die Küche kalt, und die ganze Familie ging in den Wienerwald, also in eine dieser gemütlich aufgemotzten Grillstationen, von denen der ehemalige Oberkellner Friedrich Jahn zeitweise über 700 im deutschsprachigen Raum unterhielt.
Wie alle richtigen Kellner war auch Jahn ein Illusionskünstler, der dem Normalo den Eindruck vermittelte, die Bewirtung seiner Gäste sei für ihn ein Auftrag auf Leben und Tod. Gern ließ sich der Gastronom in einem seiner Betriebe filmen und tänzelte servil zwischen den Tischen herum, um sich nach dem Befinden seiner Kunden zu erkundigen. Da musste die monothematische Speisekarte seiner Imbisse als Ausgeburt an Luxus erscheinen. Manchmal sang Friedrich Jahn seinen Gästen auch Wiener Stimmungslieder vor.
Heute singt niemand mehr im Wienerwald, und das Mobiliar sieht aus wie bei McDonald’s. Aber der Geruch von Grillhähnchen, dieser Odeur des bescheidenen Wohlstands, liegt natürlich noch immer in der Luft. So gesehen kann man sich keinen geeigneteren Ort denken, um eine Fernsehproduktion zu präsentieren, in der es um Aufstieg und Fall großer Wirtschaftswundergestalten und ihrer Imperien geht. Der NDR jedenfalls stellte unlängst in einer der drei noch existierenden Hamburger Filialen des ehemaligen Broiler-Großindustriellen seine Reihe „Lebensträume“ vor, in der Jahn und andere Unternehmer porträtiert werden, deren rapidem Aufstieg in den Fünfzigern ein ebenso schneller Abstieg in den Jahrzehnten darauf folgte. Rund drei Dutzend Journalisten fanden sich zu diesem Anlass ein, was bei einer Doku-Preview schon rekordverdächtig ist.
Der Auftrieb an interessierten Medienleuten kann allerdings nicht verwundern, schließlich war erst wenige Wochen vor der NDR-Präsentation Leo Kirch Pleite gegangen. Und mit dem Medienmogul war der letzte deutsche Wirtschaftspatriarch alten Zuschnitts abgetreten. Durch die eingehende Beschäftigung mit Friedrich Jahn oder dem brutal ehrgeizigen Versandhausfürsten Josef Neckermann mag sich manch Pressemensch vielleicht Gedankenanstöße zum Thema Kirch erhofft haben. Schließlich teilte der einst mächtige Filmhändler mit den Protagonisten der Doku-Reihe nicht nur seinen Adenauer-Look, sondern auch den autokratischen Führungsstil. Und so unübersichtlich die Gemengelage erscheint, die zum Zusammenbruch des Kirch-Imperiums führte, so anschaulich lässt sich eben der Auf- und Abstieg der anderen, schon historischen Unternehmerpersönlichkeiten skizzieren.
So liefert das Porträt „Vom Kellner zum Millionär – und zurück“, mit dem die Reihe heute eröffnet wird, zwar keine neuen Erkenntnisse über den 1998 verstorbenen „Hendl-König“, aber es zeigt noch einmal sinnfällig die Prinzipien auf, nach denen der kulinarisch-industrielle Komplex Wienerwald einst funktionierte. Zum einen schuf Jahn ein Netz aus Verbindlichkeiten um sich – die Freundschaft zum stets hungrigen Franz Josef Strauß etwa schützte ihn davor, dass er Ärger mit dem Fiskus bekam. Zum anderen kontrollierte er noch den letzten Winkel seines Machtbereichs. In einer der schönsten Szenen des Films sieht man ihn, wie er für die Kamera eine Küchenhilfe instruiert, sie solle unbedingt auf Qualität Acht geben – aber unbedingt auch sparsam wirtschaften. Jahn war wie das Wirtschaftswunder insgesamt: groß in der Geste, knauserig im Verbrauch.
Am liebsten hätte der singende Wirt alles selbst gemacht. An diesem Überwachungswahn ging sein Unternehmen letztendlich zugrunde. Denn nach der Expansion in die USA Ende der Siebziger wandelte Jahn seinen Wienerwald nicht etwa in einen multinational operierenden Konzern mit entsprechenden Kontrollinstanzen um, sondern herrschte weiterhin in einem absolutistischen Stil. Er sammelte 250 Millionen Mark Schulden an, und die Gläubigerbanken machten bald ihren Einfluss geltend. Das knusprige Brathähnchen-Reich fiel daraufhin auseinander.
Apropos Banken: Ob man sich nun den Werdegang von Jahn, Neckermann oder dem Automobilerfinder Carl F. W. Borgward anschaut, der Ende der Fünfziger mit der kurvenreichen „Isabella“ eine Art fahrbares Pendant zum Nierentisch auf den Markt brachte – der Untergang der Firmenpatriarchen wurde stets dann eingeläutet, wenn Kreditgeber abrupt Verbindlichkeiten einforderten. Das kommt uns mit einem Blick auf Kirch wieder sehr bekannt vor und wird in der Reihe gut ausgeleuchtet.
Ein wenig befremdlich indes wirkte es, als die verantwortlichen NDR-Redakteure auf der Pressekonferenz im Wienerwald über das unkulante Verhalten seitens der involvierten Bankhäuser in zornige Erregung verfielen: Sie stellten die legendären Entrepreneure als Opfer infamer Forderungen dar. Gleichzeitig steigerten sich die NDR-Präsentatoren in eine Art nostalgische Verzückung: Die deutsche Wirtschaft brauche, so der Tenor, wieder mehr von solchen Unternehmertypen. Leute, die mit Leib und Seele ihre Visionen vorantrieben. Nun ja. Selbst wenn man Firmenchefs wie Jahn und Neckermann visionäres Denken beglaubigt, sollte man doch auf dem Teppich bleiben: Schließlich haben diese Wirtschaftswunderabsahner mit mäßigem Geflügel und billigen Kühlschränken viel Geld verdient.
Weitere Folgen: 10. Juni: Josef Neckermann, 17. Juni: Carl F. W. Borgward, 24. Juni: Hannsheinz Porst
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