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Brünnhildes Feuerzauber

Bestrafte Frauen, Männerzweifel: Jürgen Flimm hat seinen „Ring des Nibelungen“ überarbeitet und zugespitzt. Gleichzeitig kamen in diesem Jahr zum ersten Mal junge israelische Regisseure und Bühnenbildner zu den Festspielen nach Bayreuth

von SABINE ZURMÜHL

In ebenjenem Hotelzimmer habe sie geschlafen, von dem aus Hitler 1924 sich einem jubelnden Bayreuther Anhang gezeigt habe und irgendwie habe sie damit gerechnet, dass er ihr nachts dort erscheine. In Bayreuth stellte Brigitte Hamann ihren Bestseller „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“ vor.

Obwohl die Bayreuther Festspiele sich seit Jahren eine gewisse Enttabuisierung hinsichtlich der Nazizeit gestatten – schon vor Jahren in der Ausstellung „Wagner und die Juden“ –, scheint mit Hamanns Buch die Debatte um die Wagnerfamilie noch einmal neu und nüchterner eröffnet. Noch ist Winifreds Nachlass allerdings nicht zugänglich, sondern liegt im Tresor einer Enkelin, und an der warmen Zustimmung des Hauses Wagner zu Hamanns Thesen darf gezweifelt werden; aber die Luft ist ein wenig freier geworden.

Dazu passt, dass die Bayreuther Theaterwissenschaftlerin Susanne Vill bei diesen Festspielen Studenten aus Tel Aviv, junge israelische Regisseure und Bühnenbildner zum Thema Wagner einladen konnte. Wolfgang Wagner spendierte Karten und koscheres Büfett; er führte höchstselbst durch Haus und Bühne und wünscht eine Fortsetzung dieser Seminare. Der Musikwissenschaftler Gad Kaynar von der Tel Aviv University betont, „dass die Mehrheit des fortschrittlichen Publikums in Israel sehr gerne Wagner hören würde. Die Studenten sollen die Komplexität, die Kompliziertheit von Wagners Werk kennenlernen, dass es nicht nur um ‚faschistische Ästhetik‘ geht, sondern auch um Ideale wie Freiheit und Liebe – und um ein wichtiges Kapitel in der Entwicklung des modernen Theaters.“

Freiheit und Liebe, Betrug und Gewalt: im Festspielhaus dieses Jahr zum dritten Male der von Jürgen Flimm inszenierte „Ring des Nibelungen“. Im Premierenjahr war die Enttäuschung über ein Sammelsurium unverbundener Situationen allgemein. Jetzt macht sich eher befriedigtes Staunen breit: Flimm hat die Zeit mehr als genutzt, seine Qualitäten als Personenregisseur wiedergefunden.

Die Bühnenbilder Erich Wonders sind entschlackt, klarer in ihren Symbolen, wenn durch den gesamten Ring sich die zunehmend verwitternde Reihe der Holzpfähle zieht, die die Nähe zum Wasser, zum Schiff, zum Rhein, aus dem das Gold kam, signalisiert. Die Kommandozentrale Wotans , das protzige Boss-Bureau, verwittert, schließlich bedeckt mit Schnee, ausrangiert wie sein Besitzer. Wotan (Alan Titus) beginnt als zögernder, seine Unsicherheit mit Imponiergehabe und Gewalt überspielender Gottvater, der im Laufe des Spiels an Format gewinnt, die Einsicht in seine Endlichkeit vollzieht, wenn er den aufbegehrenden Sohn Siegfried, der ihm eben den Weg verstellte und den Speer zerbrach, in eine kurze Umarmung zieht.

In diesem Jahr auch neu die Gestaltung des Drachen, des Wagnerschen „Wurms“ als schwarze Luftnummer, als aufgeblasene Riesenassel aus Fallschirmseide. Der Popanz, aus dem ganz schnell die Luft raus ist, hinter dem man, wenn man ihn denn mutig angeht, nichts weiter entdeckt als den alt gewordenen Riesen Fafner im Rollstuhl.

In der „Walküre“ bleibt die stetige Präsenz des Todes erhalten. Vor den Walküren, die in kriegerischen Anzügen, als bad girls mit Rastalocken, an bungee-ähnlichen, elastischen Schaukeln hoch und nieder sausen, zieht eine stoische Reihe toter Soldaten vorbei. Die Walküren nehmen ihnen die Helme und Waffen ab, bleiben Todesgöttinnen. Als Brünnhilde singt Evelyn Herlitzius stimmlich hervorragend zum ersten Mal in Bayreuth und wird auf Anhieb eine Sensation: eine zierliche, fast tänzerisch bewegliche junge Frau, eher ein junges Mädchen, mit rotem Lockenschopf, irrlichternd, vergnügt, eine spielerische Tochter Wotans, ihrer außergewöhnlichen Position als Liebling des Vaters nur zu gewiss, und umso tiefer ist ihr Fall, als sie wegen Unterstützung des liebenden Zwillingspaares Siegmund und Sieglinde hart vom Vater gestraft wird. Die Strafe ihrer Entgöttlichung wird von Flimm und seinem Team so anrührend wie kaum je umgesetzt: aus der bewehrten, selbstbewussten jungen Frau wird ein Sterntalermädchen im kleinen Hemd, traurig, liebebedürftig, allein. Wenn sich um sie im Feuerzauber der hohe metallische Turm schließt, sind darin alle Aidas und Gretchens, alle weggeschlossenen, „in pace“ eingemauerten, bestraften Frauen dieser Welt.

Wie sehr Flimm gegen die Heldinnen den Männerzweifel setzt, wird besonders bei der Figur des Hagen (John Tomlinson) brillant deutlich, wenn dieser als Intrigant und Einpeitscher für die Ermordung Siegfrieds doch auch der abhängige Sohn Alberichs bleibt und voller moralischer Skrupel vor dem Raub des Rings zurückschreckt.

Flimm setzt auf realistische Darstellung, auf nachvollziehbare Motivationen, auf deutliche Beziehungsgeflechte. Er lässt Brünnhilde schon wie unsichtbar bei ihren Schutzbefohlenen Siegmund und Sieglinde sitzen, er lässt Wotan die Wege Siegfrieds bestimmen, den kleinen Jungen Hagen dem Streit um den Ring zuhören. Die Einflussnehmer, die Götter und ihre Macher, sind immer schon da.

Aber zu welchem Ende? Mit dem Ende der Welt, mit der Perspektive des „Rings“ weiß Flimm (noch) nichts anzufangen. Das mag ihm zu metaphysisch, zu spirituell sein. Aber solange diesem Bayreuther „Ring“ sein Ende fehlt, fehlt der Schlussstein, die Balance, die Folgerung aus allem. In der jetzigen Fassung wird eine langsam versinkende Brünnhilde von einer dann in gelbe Ferne verschwindenden Menschengruppe umrahmt. Dazu als Zitat des Brünnhildschen Feuerzaubers noch einmal eine Reihe Flammen. Die Enttäuschung des Publikums über ein fehlendes schlüssiges Ende war gewaltig. Für Flimm gab es deshalb Buh-Rufe. Trampeln, Bravos, Jubel dagegen für das Dirigat von Adam Fischer, für die Sänger, für das ganze hemdsärmelige Orchester in diesem alten Zauberkasten.

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