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Faszination Selbstzerstörung

Brutalität für sich sprechen lassen: Nach Erfurt wurde eine seiner Installationen verboten. Nun ist Bjarne Melgaard mit der Ausstellung „Interface to God“ in der Kieler Kunsthalle zu sehen

von LISA MONK

Wenn Kunst schockiert, hat sie häufig entweder den Nationalsozialismus oder einen destruktiven Umgang mit dem Körper zum Thema. Bjarne Melgaard nähert sich gesellschaftlichen Phänomenen über deren Subkulturen und verwendet dabei meist das Medium Körper als Träger der individuellen Identität. Damit erreichte er im Mai, dass eine Ausstellung von staatlicher Seite geschlossen wurde. Im westfälischen Herford sollte seine Installation „Black Low“ im Museum für Kunst und Ambiente eine Woche nach dem Massaker in Erfurt eröffnet werden. Da die Staatsanwaltschaft Bielefeld die Gefahr von Gewaltverherrlichung sah, verbot sie sie noch vor der Eröffnung. Eine Woche später konnte die Ausstellung dann doch noch der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Die Kunsthalle zu Kiel zeigt zurzeit eine große Ausstellung des 1967 in Sydney geborenen Norwegers Bjarne Melgaard: mit zusammenhängenden Installationen aus Zeichnungen, Videoprints, Videos und Texten. Interface to God nennt Melgaard seine Untersuchung der quasireligiösen Gedanken- und Bilderwelt der Black-Metal-Szene aus Norwegen. Diese vor allem männlichen Anhänger des Satanismus haben das Messer selbst in die Hand genommen, um die Schnittstelle zu Gott gründlich zu durchtrennen und sich stattdessen selbst zu Herren über Leben und Tod gemacht, indem sie sich und andere verletzen.

Melgaard arbeitet mit der Band Thorns zusammen, deren Musik in der Ausstellung dröhnt und von denen der Ausstellungstitel sowie derart nihilistische Sätze stammen, wie „Hope is a serum that never heals“. Auf dem Fußboden stehen in großen Buchstaben weitere Texte, die um Todessehnsucht kreisen. Melgaard behängte die Wände mit riesigen PVC-Folien, auf denen in Rot und Schwarz Undefinierbares wabert, Feuer lodert oder Blut verschmiert ist. Im Hintergrund schweben Röntgenaufnahmen von Tieren.

Die Wandteppiche vermitteln eine psychedelisch verwirrte Atmosphäre, die in der größten Installation ihre Ursache offenbart. Melgaard inszenierte das chaotische Lager von Drogenexzessen: auf Matratzen sind Tabletten, Messer, Rasierklingen, Spritzbestecke, Koks und destruktive Literatur verteilt. Die Figuren, die sich in diesen ekstatischen Welten der Selbstzerstörung suhlen, stehen in Bronze gegossen als überdimensionierte Gartenzwerge nebenan. Vier langhaarige Männer mit nacktem Oberkörper und Jeans sind identisch identitätslos, alle haben anstelle eines Penisses eine Spritze als Glücksbringer.

Wie original die Texte und Rituale wirklich sind, bleibt offen. Sicher ist, dass die Black-Metal-Szene in Norwegen aktiv ist und sich schon vor zehn Jahren vom norwegischen Wohlfahrtsstaat separierte, um ihm ihre Philosophie des Antichristlichen, des Satanistischen entgegenzusetzen, dem sie vielfach in Drogenexzessen frönen. Anfang der 90er Jahre gab es innerhalb der Szene Morde und Selbstmorde, und Mitglieder der Subkultur rühmten sich damit, einige der berühmten Stabkirchen abgebrannt zu haben. Auch eine Nähe zu faschistischer Ideologie wird vielen Anhängern nachgesagt.

Melgaard dringt in diese mysteriöse Welt ein, er ist in ihr und außerhalb zugleich. Seine Kunst bezieht keine klare Position zwischen Faszination und Ablehnung, doch die Brutalität seiner Protagonisten spricht für sich. Sie provoziert nicht zur Nachahmung, wie in Herford befürchtet, sondern nur zu kopfschüttelndem Staunen über die Verzweiflung, die hinter diesem Lebens- und Selbsthass steckt.

Di–So 10.30–18 Uhr, Mi bis 20 Uhr, Kunsthalle zu Kiel, Düsternbrooker Weg 1, Tel.: 0431/880 57 56; bis 18. August

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