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Selbstentdeckung auf Hochtouren

„Kontrolle des fertigen Bildes. Anerkennung oder Auslöschung.“ Informel-Künstler lavierten sich mit der Geschwindigkeit als Arbeitsprinzip durch‘s Wirtschaftswunder. Die Kunsthalle zeigt eine Auswahl informeller Grafik der 1950er und 60er Jahre

Einsam ist der Künstler, wenn er so dasteht im Atelier und sein Arbeitsmaterial ihn anschaut. Keine Idee drängt sich auf, schon gar keine Ideologie, und draußen tobt das Wirtschaftswunder. Den eigenen Puls befühlen, das wäre eine Möglichkeit – im Gedenken an den Kollegen Jackson Pollock, der 1956 mitteilte: „Malen ist Selbstentdeckung“. Mehr hat er leider nicht verraten, nichts, kein Programm, kein Regelwerk, keine Themen. Bleibt also nur: die Selbstentdeckung, das Material und das Wirtschaftswunder.

Und einen Begriff gab es schon in diesen 50er Jahren, eine Bezeichnung, die immerhin besagte, was man vermeiden wollte: Informel sollte die neue Richtung heißen, also: ohne Form. Statt dessen legten die Informel-Künstler der 1950er und 60er Jahre alles Augenmerk auf den Gestaltungsprozess. Und der hängt wiederum davon ab, wie das Material auf den Künstler reagiert und mit ihm in einen Dialog tritt. Ein Gestalten ohne eine zuvor ausbaldowerte Bildidee, es kommt, wie‘s kommt, und am Ende empfiehlt Informel-Künstler Karl Otto Götz: „Kontrolle des fertigen Bildes. Anerkennung oder Auslöschung.“ Die anerkannten Informel-Grafiken von Götz und Zeitgenossen präsentiert die Bremer Kunsthalle jetzt in einer Überblicksausstellung im Kupferstichkabinett.

Informelle Druckgrafik, das bedeutet vor allem Radierung und Lithografie. Künstler wie Peter Brüning, Emil Schumacher und K.R.H. Sonderborg probierten unkonventionelle Arbeitstechniken, bearbeiteten Druckplatten mit Hammer, Meißel und Fingerabdruck, sie ätzten und verformten, statt mit Radiernadel oder Roulette zu operieren. Herausgekommen ist dabei Unvorhergesehenes, es ging um die Überraschung und den Zufall – aber nicht nur. „Das Wechselverhältnis von Automatismus und Kontrolle prägte das informelle Arbeiten“, so Kuratorin Barbara Nierhoff.

Als wär‘s eine Reliefplastik, bringen sie Struktur ins bedruckte Papier, machen aus der Vorgabe „formlos“ etwas Sinnliches. Der Betrachter darf sich fragen, wie die Künstler das hinbekommen haben, und die Ausstellung gibt hilfsbereit Auskunft: In Vitrinen sind Arbeitsgerätschaften und Druckplatten zu sehen. The Making of Informel.

Soviel zur praktischen Seite. Fehlt noch das Geistige, das Interpretierbare, ein Bildinhalt vielleicht, und da wird‘s schwierig: „Es gibt keine Sinnebene hinter den Bildern“, sagt Nierhoff und zitiert Emil Schumacher: „Bilder erklären sich durch sich selbst.“ Damals, in den 50ern, eine Haltung, die zu verstehen ist als Opposition zu sozialistischem Realismus und Nazikunst.

Klar ist, zumindest bei Karl Otto Götz und K.R.H. Sonderborg, dass sie außer dem Material die Aspekte Geschwindigkeit und Technik faszinierten – nachdem sich draußen auf frischen BRD-Autobahnen die Volkswagen überholen, interessierten sie sich für Bewegung und Dynamik auf dem Papier. Die Künstler arbeiteten schnell, zauberten Bewegungsverläufe, legten Bewegungsspuren – und erreichten dabei eine aggressive Energie, die ganz im Gegensatz steht zur ehrwürdigen Studierstuben-Atmosphäre im historischen Kupferstichkabinett.

Weniger nach vorne, mehr nach außen orientierten sich Gerhard Hoehme und Otto-Herbert Hajek: „All over“ nennen die Kunsthistoriker deren Kompositionsprinzip. Nierhoff: „Es gibt keine Symmetrien und keine Zentren mehr. Dafür entsteht der Eindruck, das Bildgeschehen ginge jenseits der Bildgrenzen weiter.“ „Die Unruh wächst“ hat Hoehme im Zeichengewirr seines Werkes „Schriftstruktur“ an den unteren Rand geschrieben. Gemeint hat er wohl die Unruh des Betrachters bei dem Versuch, das Bild zu dechiffrieren. Die dürfte ähnlich groß gewesen sein wie seine Unruh, als er vor einem Haufen schweigsamen Materials im Atelier stand.

Klaus Irler

bis zum 6.10., Mi-So 10-17 Uhr, Di 10-21 Uhr. Führungen: 20.8., 1.9., 17.9. und 6.10.

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