: Freiwillig für das Ehrenamt
Am zweiten Freiwilligentag werben Engagierte für zahlreiche Projekte bei denen man sich ohne Entgelt einbringen kann, und für den Erhalt bedrohter Institutionen wie der Bahnhofsmission am Zoo
von JANA SITTNICK
Samstagmittag, Bahnhof Zoo. Durch die verglasten Fensterfronten flutet Spätsommerlicht in die Haupthalle, bescheint die gelbbraunen Fußbodenfliesen, den Deutsche-Bahn-Werbebildschirm und die Displays mit den Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Fernzüge. Menschen in Freizeitjacken hasten aneinander vorbei, Wachschutzleute patrouillieren, junge Mädchen mit Rucksäcken drehen sich hilflos im Kreis. Es ist genug Publikum vorhanden für den großen Auftritt der Ehrenamtlichen.
Am Samstag fand der „Zweite Berliner Freiwilligentag“ statt, mit mehr als dreißig sozialen Projekten, die ihre Arbeit in der ganzen Stadt präsentierten. In der Haupthalle des Bahnhofs Zoo haben Vertreterinnen der Bahnhofsmission, Frauen zwischen fünfzig und siebzig, die man an ihren blauen Anorakwesten erkennt, einen Infostand und eine Wandzeitung aufgebaut, sammeln Spenden und bieten selbst gebackene Kekse an.
„Es ist zu wenig, einmal im Jahr auf die Bahnhofsmission aufmerksam zu machen“, sagt Hiltrud Güssefeld, „denn die Deutsche Bahn will der Mission gar keine Räume mehr zur Verfügung stellen.“ Güssefeld klingt enttäuscht, sie redet von einem „Tritt, der schmerzt“. Der Bahn, die daran interessiert ist, ihr Image durch gezieltes Marketing eines „Schneller-weiter-schöner“ aufzupolieren, scheint das sozial ausgerasterte Publikum der Bahnhofsmission, die Alkoholiker, Junkies und Obdachlosen, ein Dorn im Auge zu sein. „Die Essenausgabe soll vielleicht umziehen, nach Bellevue“, sagt Rosi Schöttler, „aber das ist doch Quatsch, hier am Zoo ist der Brennpunkt.“
Güssefeld, Schöttler und ihre Kolleginnen engagieren sich für die Bahnhofsmission, obwohl sie selbst ganz andere Vereine und Institutionen vertreten: Hiltrud Güssefeld leitet seit 25 Jahren Kochkurse bei der Hausfrauenvereinigung des katholischen Frauenbundes, die rabiate Rosi Schöttler präsentiert den Landesverband der Berliner Gartenfreunde. Die Frage, warum sie am Aktionstag bei der Bahnhofsmission stünde, obwohl das gar nicht „ihr“ Verein sei, begründet Schöttler knapp. „Sollen wir heute Gartenarbeit machen oder Beete anlegen? Nee, dit machen wir sonst schon immer.“ Und am Zoo, da kämen viele Leute vorbei, da käme man ins Gespräch.
Güssefeld ist, wie sie sagt, „so reingerutscht“ ins Ehrenamt. Sie freue sich, wenn Leute sich treffen und miteinander reden und wohl fühlen, und sie „ein verbindendes Glied“ ist. „Wenn jemand sagt, heute war es wieder schön, dann fühle ich mich entlohnt.“ Manchmal allerdings sei die Arbeit auch „zerrig“.
Das Ehrenamt – der Gedanke an ältere Damen in vergilbten Rüschenblusen drängt sich auf, an Keksteller und Helfersyndrom. Alexandra Schibath lacht auf. „Die wären bei unseren Leuten im Knast wohl an der falschen Stelle.“ Schibath, selbst Anfang dreißig, leitet die „Freiwillige Mitarbeit im und nach dem Justizvollzug“, ein Projekt der Freien Hilfe Berlin e. V., einem vor zwölf Jahren gegründeten Verein der Straffälligenhilfe in Mitte. Sie koordiniert die Arbeit von 120 Ehrenamtlichen, die sich um „Langzeitinsassen“ in der JVA Tegel kümmern, sie zweimal monatlich besuchen. „Sich eine Stunde lang hinsetzen und nur zuhören, das kann kein Sozialarbeiter in der Haftanstalt leisten“, sagt Schibath, „und das kann auch sehr anstrengend sein.“ Deshalb gebe es Einführungskurse im Verein.
Im Ladenbüro bei Alexandra Schibath sitzen eine Hand voll Leute um einen großen Tisch, sie schneiden Motive aus bunter Folie und kleben sie auf Papier. In der Mitte steht ein Teller mit Gebäck, die Stimmung ist lauschig. Was auf den ersten Blick nach Beschäftigungstherapie aussieht, dient natürlich einem guten Zweck: Man bastelt Postkarten für Häftlinge in der JVA Tegel, mit persönlichen Grüßen. „Ich gucke am Ende immer noch mal auf die Texte rauf“, sagt Schibath, „nicht, dass da irgendein Quatsch steht.“ Den Freiwilligentag findet sie gut, weil da Bürger die Chance hätten, „wenigstens mal einen Tag was zu machen.“
Gerda Krause ist mit ihren Karten fertig. Die ehemalige Lehrerin betreut seit vier Jahren zwei „Lebenslängliche mit Sicherheitsverwahrung“. Am Anfang hätte sie das belastet, jetzt kann sie besser mit deren Krisen umgehen. „Wir reden über Gott und die Welt“, sagt sie, „wir lachen viel.“ Gewisse Themen kämen bei ihr nicht vor, sie sei ja schon älter und Oma, das hätte sie ihren Insassen gleich klar gemacht. Als vor einigen Jahren der Mann starb, wollte Gerda Krause „noch was machen“, und dann sei sie im Verein für Staffälligenhilfe gelandet. „Tegel, Haus 3, kennen Sie das? Sieht aus wie in den amerikanischen Gefängnisfilmen, mit Gängen und Galerien, und Gittern oben. Schrecklich.“ Aufhören könne sie nicht mehr einfach so, sie fühlt sich verantwortlich. „Ich weiß, dass man schnell abrutschen kann“, sagt Gerda Krause, nimmt ihren Hund und geht.
Im Mauerpark regnet es kräftig. Doch den Karnickeln im dortigen Kinderbauernhof ist das egal, die hocken in ihren Buchten und kauen vor sich hin. Auf den Namenschildern liest man: Frau Krüger, Bunny, Bijou. Enten gibt es noch, Hühner und Schafe. Die haben die Senioren besorgt, haben Geld gesammelt und sind in den Tierpark gefahren, haben den Direktor gefragt, wie teuer die Tiere sind. Dreihundertvierzig Mark hätten die Schafe gekostet, sagt Edith Udhardt, und nach sechs Wochen sei noch ein Kleines gekommen. „Da war was los, das hat uns der Direktor nämlich nicht gesagt.“
Am Tag des Ehrenamtes sitzt Udhardt, die stellvertretende Vorsitzende der Seniorenvertretung von Pankow, nicht in Rüschenbluse, sondern in Jeans und hellblauem Poloshirt im Bauernhaus und verstrickt die Wolle „ihrer“ Schafe. Neben ihr sitzen zwei vierzehnjährige geschminkte Mädchen und knüpfen kleine Wandteppiche. Das eine Mädchen flucht, weil sie ihren Faden verliert. Plötzlich reißt die Seniorin ihre Strickarbeit hoch, setzt sie dem anderen Mädchen auf das lange blonde Haar und trompetet: „Guck mal, die Ötzi-Mütze für Claudia Schiffer!“ Die Seniorinnen sind am Aktionstag angetreten, um den Teenagern zu zeigen, wie man Handarbeiten macht. Die finden’s gut, weil ihnen das sonst keiner mehr zeigen kann. „Macht ja auch Spaß“, sagt die zehnjährige Jenny. Edith Udhardt, die früher als Krankenschwester arbeitete, ist quirlig und redet viel. Ehrenamtlich arbeitet sie, weil sie was erleben will. „Ich bin in der Seniorenvertretung, im Quartiersmanagement und im Mieterbeirat“, sagt sie laut. „Sie brauchen keine Angst zu haben, dass ich mich langweile.“ Das ganz bestimmt nicht.
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