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Ringelreihen in Rom

„Festa di protesta“ führte über 500.000 Berlusconi-Gegner zusammen. Die Bürgerbewegung „Girotondi“ organisiert für Italiens Linke den Protest

aus Rom MICHAEL BRAUN

Mit einem Paukenschlag hat sich die Protestbewegung gegen Silvio Berlusconi nach der Sommerpause zurückgemeldet: Deutlich mehr als eine halbe Million Menschen strömten am Samstag in Rom auf der Piazza San Giovanni zur „Festa di protesta“ zusammen. Nicht die Parteien der Mitte-links-Opposition oder die Gewerkschaften hatten das Meeting organisiert, sondern die im letzten Frühjahr entstandene Bürgerbewegung der „Girotondi“, der „Ringelreihen für die Demokratie“.

Angestoßen von Künstlern wie dem Filmregisseur Nanni Moretti und von Intellektuellen, wurden die „Girotondini“ sofort als Bewegung des „reflektierenden Mittelstands“ klassifiziert, sprich der gebildeten Besserverdienenden. Die waren am Samstag in der Tat zuhauf auf der Piazza San Giovanni: die noch durch die 68er Erfahrung gegangenen Lehrer, Anwälte, Wissenschaftler etc., die mit den Girotondi nach Jahren politischer Abstinenz wieder zum Engagement zurückgefunden haben.

Doch die Demo wurde vor allem deshalb zum vollen Erfolg, weil es der Bewegung gelang, in allen Segmenten der Bevölkerung zu mobilisieren. Vom jungen Globalisierungskritiker über den Büroangestellten und die Fabrikarbeiterin bis zum Rentner waren alle da. Das Gleiche gilt für die parteipolitischen Sympathien: Fahnen von Rifondazione Comunista wehten neben denen der Linksdemokraten.

Gekommen waren aber keineswegs bloß die unentwegten Anhänger der Mitte-links-Parteien. So mancher auf dem Platz bekannte reumütig, er habe noch vor einem Jahr „die größte Dummheit meines Lebens begangen“ und Berlusconi gewählt.

In nur sieben Monaten sind die „Girotondini“ damit zu einer politischen Größe geworden, an der die Mitte-links-Parteien nicht vorbeikommen. Ihren Auftakt nahm die Bewegung im Februar bei einer anderen Kundgebung gegen Berlusconi. Damals standen alle Oppositionschefs auf dem Podium. Vor ihnen verloren sich gerade mal 5.000 Demonstranten und am Ende las Nanni Moretti den Mitte-links-Chefs die Leviten: Mit dieser kraftlosen, zerstrittenen, ihrer Wählerschaft entfremdeten Führungsriege werde die Linke noch auf Generationen verlieren.

Diesmal kamen mehr als 500.000, auf dem Podium sprachen ausschließlich Vertreter der Bürgerbewegung, und die Chefs der Oppositionsparteien waren zwar auch alle wieder da, aber sie mussten sich mit der Rolle gewöhnlicher Demonstranten zufrieden geben.

Dennoch weisen Nanni Moretti und Co alle Gerüchte von sich, sie könnten nach dem Sensationserfolg zur Gründung einer neuen Partei schreiten. Um die feste Etablierung der Bewegung neben den Parteien geht es ihnen, um so Druck auf die Opposition auszuüben. Druck, der darauf zielt, einen kompromisslosen Konfrontationskurs gegen Berlusconi durchzusetzen.

Im Mittelpunkt der Kritik steht dabei Berlusconis Umgang mit Justiz und Medien. Gerade in diesen Tagen paukt die Rechtskoalition das direkt vor der Sommerpause schon im Senat verabschiedete Gesetz durch die zweite Parlamentskammer, das Berlusconi und seinen in Mailand Mitangeklagten ermöglichen soll, die dortigen Prozesse per Verlegung an einen anderen Gerichtsstand abzuwürgen. Die Oppositionsparteien haben deshalb jetzt reichlich Gelegenheit, ihren unzufriedenen Wählern neue Entschlossenheit zu demonstrieren. Und die Girotondini haben reichlich Gelegenheit, zu neuen Protestaktionen zu mobilisieren.

Die Erwartung, dass Italien ein heißer Herbst bevorsteht, erscheint umso realistischer, als zugleich auf einem anderen Feld die Mobilisierung gegen Berlusconi weitergeht: Der Gewerkschaftsbund CGIL wird in den nächsten Tagen das Datum des Generalstreiks festlegen, mit dem er im Oktober gegen die Aufweichung des Kündigungsschutzes mobil machen will. Zu den Gewerkschaftskundgebungen dürften dann auch wieder viele derer stoßen, die am Samstag dabei waren.

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