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Blau in der Provinz

Wie die Bevölkerung von Itzehoe um ein Siebtel anwuchs und die Hamburg Blue Devils den Einzug ins Halbfinale der Deutschen Meisterschaft im American Football schafften – auf Heimspielreise nach Schleswig-Holstein

„War von euch schon jemand in Itzehoe? Wer weiß, wo das Stadion liegt?“ Es ist ausgerechnet der Busfahrer, der diese Fragen stellt. 36 American-Football-Fans und sechs MitarbeiterInnen eines Catering-Unternehmens haben keine Ahnung.

Dabei nennt sich das, wo sie alle hinwollen, „Heimspiel“: In Hamburg konnten die Blue Devils für ihr Play-Off-Viertelfinale am Samstag keinen Rasenplatz finden. Da blieb nur der Ausweg in die 60 Kilometer entfernte Kleinstadt. Am Morgen erst kam Emin ins Spiel, der Fahrer auf der Suche nach dem Stadion: „Fußball-Fans nach Itzehoe bringen“, lautete der Auftrag seines Chefs. „Bloß nicht“, habe er geantwortet. Als sich herausstellt, dass es nicht um Fußball, sondern American Football geht, ist Emin begeistert. „Ihr seid wunderbar“ lobt er die Fahrgäste. „Wir gehören wohl zur ruhigeren Sorte“, gibt Larry, einer der Gelobten, zu.

Aber auch diese ruhigen Menschen drehen im Itzehoer Stadion plötzlich auf. Als Blue Devils-Fan ist man vier Stunden lang Teil einer ausgefeilten Choreographie. „Oh when the Saints.“ Der Itzehoer Jugend-Spielmannszug klimpert und marschiert. Das Publikum jubelt und lacht. Irgendwann mischen sich die Blue Angels, Cheerleader der Devils, unter die Provinz-Animateure. „Go Devils Go“ rufen die ZuschauerInnen und heben Zeige- und kleinen Finger zum Gruß. Zum Kickoff um 15 Uhr haben etwa 4200 Menschen in Blau und ein Dutzend im Rot der gegnerischen Franken Knights den Weg in die 35.000 Einwohner-Stadt gefunden.

Die Blue Devils selbst sind mit drei LKWs nach Itzehoe gefahren, und das nicht wegen der fünfzig Spieler: Alles soll wenigstens fast so aussehen wie zuletzt in der AOL-Arena, sagt Sportdirektor Dietrich E. Stolze. Deshalb steht ein riesiger Helm aus Gummi auf dem Feld. Kurz vor Spielbeginn erzeugen die Pyrotechniker des Vereins mächtig Rauch. Geschminkte Sportler mit Hüftpolstern rennen dazu aus ihrer „blauen Hölle“, einer großen Kuppel, ebenfalls aus Gummi.

Leider, aus Sicht der Devils-Fans, gehen jedoch zunächst die Franken in Führung – und bleiben es zweieinhalb Stunden lang. Erst als die Uhr nur noch drei Minuten Spielzeit anzeigt, sind die Hamburger auf einen Punkt herangekommen. Von nun an wird die Begegnung so oft unterbrochen, dass jede gestoppte Sekunde fast zur Minute wird. Eine Minute vor Schluss die erste Führung. Aber jetzt hat der Gegner noch Zeit, selbst zu punkten. 39 Footballer auf der Reserve-Matte peitschen sich und das Publikum an.

„Wir Fans haben das Spiel gewonnen“, wird Heiko den 49:42-Sieg nachher kommentieren. Enim fährt 42 glückliche Menschen zurück nach Hamburg. „Wir waren so laut, dass sich die Franken am Schluss nicht mehr verständigen konnten“, erläutert Heiko. „So viel Lärm“, sagt er stolz. Und das obwohl zweimal weniger Fans da waren als zuletzt im Volkspark. „Wenn wir ins Endspiel kommen, färbe ich mir die Haare blau“, kündigt Larry an. „Go Devils Go.“ Doch der Schlachtruf hält im Bus nur eine halbe Minute an.

Headcoach John Rosenberg findet es „okay“, in Itzehoe zu spielen. Sportdirektor Stolze kündigt dennoch an, in der nächsten Saison wieder in die viel teurere AOL-Arena zurückzukehren. Die Fans im Bus sind sich einig: „Es ist jämmerlich, dass die Fußball-Vereine so arrogant sind“, sagt Meike mit blauem Band im Haar. „Die fürchten die Konkurrenz“, mutmaßt Boris im Devils-Dress. Nur für Busfahrer Enim ist der Ausflug nach Itzehoe eine tolle Sache: Am kommenden Samstag fährt er wieder hin, zum Halbfinal-Heimspiel gegen die Berlin Adler.

MATHIAS WÖBKING

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