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NachgeforschtIdeen-Import aus Duisburg

Anti-Abwanderungs-Strategien

„Bremen sollte sich ein Beispiel an Duisburg nehmen!“ Ausgerechnet Duisburg? Ja, sagt Julia Salden, Journalistin aus Köln. Sie stellte gestern ihre Studie „Strategien gegen Einwohnerschwund“ vor. Diese wurde von der Arbeitnehmerkammer Bremen in Auftrag gegeben und vergleicht die Einwohnerzahlen deutscher Großstädte des letzten Jahrzehnts miteinander. „Bremen gehört dabei nicht zu den ‚Gewinnerstädten‘“, sagt Salden.

In den 90er Jahren hat das Bundesland Bremen 21.000 EinwohnerInnen verloren. Dies brachte für Bremen direkte finanzielle Nachteile mit sich. Die so genannte „Einwohnerveredlung“ des Länderfinanzausgleiches besagt nämlich: Je mehr Einwohner, desto mehr Geld – ganz konkret bringt jeder Bürger jährlich 3.000 Euro in die Kasse. Der Negativtrend ist seit dem Jahr 2000 für die Stadt Bremen zwar gestoppt. Erstmals verzeichnete diese wieder ein Plus von 1.400 Einwohnern. Die Zahlen aus dem letzten Jahr bestätigen den Zuwachs. Dies gilt allerdings nicht für Bremerhaven, dort sinken die Einwohnerzahlen weiterhin. Auch Jörg Muscheid, Leiter des Projekts bei der Arbeitnehmerkammer, bremst etwaige Euphorie: „Von einer Trendwende zu sprechen ist auf jeden Fall zu früh. Wir bräuchten außerdem ähnliche Zahlen über zehn oder fünfzehn Jahre, um die Verluste aus den 90ern auszugleichen.“

Unverändert zudem die Grundproblematik: Vor allem junge und einkommensstarke Paare kehren der Stadt den Rücken zu. Dadurch nimmt die Stadt weniger Steuern ein, was wiederum einen Abbau sozialer und kultureller Dienstleistungen zur Folge hat. Bremen verliert an Lebensqualität. Genau diese heben BremerInnen aber an ihrer Stadt immer hervor. Im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten landet Bremen in dieser Kategorie auf einem beachtlichen vierten Platz. Es gilt also die Lebensqualität zu sichern und auszubauen. Und hier kommt nun Duisburg ins Spiel – und Tübingen. In beiden Städten wurden in den letzten Jahren stadtplanerische Konzepte entwickelt, die auch für Bremen beispielhaft sein könnten. In Duisburg wurde im ehemaligen Innenhafen ein vollkommen neues Wohnquartier geschaffen, das Wohnen und Gewerbe miteinander verbindet. Genauso im „Französischen Viertel“ in Tübingen, aus dem zudem die Autos ausgesperrt wurden. „Die Menschen sollen Lust haben, sich in den Vierteln aufzuhalten“, sagt Salden, „dafür müssen wir sie lebendig und kommunikationsfördernd gestalten.“ Muscheid ergänzt, dass das Ostertor „nicht umsonst einer der begehrtesten Stadtteile“ sei. Als Beispiel einer gelungenen Stadtplanung führt er außerdem die Schlachte an. Ganz konkret erhofft er sich vom Radio-Bremen-Umzug eine Belebung des Faulenquartiers.

Mehr als aus jeder anderen deutschen Großstadt wandern die BremerInnen ins Umland ab. Obwohl sie in der City arbeiten und das kulturelle Angebot der Stadt nutzen, zahlen sie in Niedersachsen Steuern. „Damit muss man sich über die Berechtigung der Selbstständigkeit Bremens Gedanken machen“, hebt Salden die Bedeutung des Einwohnerschwundes für das Bundesland hervor.

Daniel Schalz

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