böhse onkelz für türken von MARTIN BÜSSER:
„Ey, hast du Böhse-Onkelz-Platten?“, fragte ein türkischer Jugendlicher in der Straßenbahn sein Gegenüber dermaßen laut, dass ich aufhorchen musste. Die Tatsache, dass ein Türke von der bundesweit als zumindest latent türkenfeindlich eingestuften Band spricht, verwunderte mich erst einmal nicht, hatte ich das hessisch feucht ausgesprochene „Hast du?“ doch zunächst als „Hasst du?“ wahrgenommen.
Eigentlich hat mich die Frage auch nur deshalb erstaunt, weil ich schon lange keinen 14-Jährigen mehr altmodisch von „Platten“ anstatt von „ZehDehs“ habe reden hören. Dann aber kam’s dicke. „Logisch, ich hab alles von denen – geile Band!“, antwortete der andere, um etwa ein Jahr jüngere türkische Junge. „Ey, aber nicht die frühen Sachen, oder? Die verbotenen?“ Der Ältere begann nun wild zu gestikulieren. „Da, wo sie noch voll gegen Türken singen. Ey, mit den Kassetten bin ich in der Klasse voll der Chef.“ Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte ich dem Jungen gern abermals nostalgisch meinen Respekt gezollt, denn sicher gibt es im Zeitalter von MP3 und Minidisc nicht mehr viele, die auf dem Schulhof noch mit echt analogen Kassetten dealen.
Während sich der Dialog ins Absurde weitersponn – „Kennst du den Song ‚Türkenfotze‘? Voll assig cool!“ –, war ich krampfhaft bemüht, das Gespräch in mein Weltbild einzuordnen. Und versuchte mir einzureden, dass solche Widersprüche ganz normal seien. Mir als Deutschen gefällt schließlich auch die Musik am besten, in der sich die Texte gegen „die Deutschen“ richten. Selbstverständlich sind mir King Rocko Schamoni und Rio Reiser lieber als Heino. Mit dem Unterschied, dass ich damit nicht meinen Henker zum Freund, sondern als Freund den Gegner der Henker wähle.
Leider war keine Zeit mehr, den beiden diesen Gedanken mitzuteilen, denn sie stiegen bereits, das Essen im türkischen Elternhaus verweigernd, aus: „Kommste noch mit zu Mäckes, den Bauch vollschlagen?“ Es ging also zu MacDonald‘’s.
Zwei Wochen später die nächste Begegnung. Während ich auf dem Flohmarkt in einer Plattenkiste wühlte, näherte sich ein etwa Fünfzigjähriger mit Nickelbrille und Vollbart dem Stand. Der Mann, der aussah, als habe er einst alle Gorleben dieser Erde bekämpft, fragte den Verkäufer mit Unschuldsmiene: „Haben Sie etwas von den Böhsen Onkelz?“ Nach kurzem, keineswegs aggressivem Schlagabtausch folgte die Begründung, warum er nach den Platten suchte: „Das ist die letzte Band, die noch Musik für die sozial Schwachen und Ausgegrenzten spielt.“ Kann es sein, dass ich dem Lehrer der beiden türkischen Jungs gegenüberstand? „Wer kümmert sich denn sonst noch um unsere Arbeiterjugend?“, redete er lautstark beim Abgang vor sich hin. Offenbar habe ich die neuesten Pop-Entwicklungen nicht mitbekommen. Spielen die Böhsen Onkelz womöglich auf DGB-Kundgebungen? Hören die „Republikaner“ inzwischen Raggamuffin und Asian Dub? Falls ja, sollte Gerhard Schröder ernsthaft erwägen, die Onkelz ins Regierungsboot zu holen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen